: "Eine gewisse Fremdheit des Blicks"
■ Jamaika und die deutsche Revolution: Der Schriftsteller und Revoluzzer Peter-Paul Zahl lebt, liebt, arbeitet und engagiert sich auf Jamaika. Mit Erfolg: Seine Krimis machten ihn zum wichtigsten Langtext
taz: Mit welchen Gefühlen denkst du heute an Deutschland?
Peter-Paul Zahl: Nach wie vor mit recht bösen. Mir war im Knast schon klar, daß ich abhauen werde. Aber auch zuvor, so 66/67, hatte ich vor, auszuwandern, und zwar nach Griechenland. Ich bin dann in Berlin geblieben, als die Apo-Zeit anfing. Das waren meine elf fetten Jahre.
Hatte sich in deiner Knastzeit etwas aufgestaut, daß du wegwolltest?
Ich habe Deutschland die Möglichkeit zur tätigen Reue gegeben, es hat die Bewährung aber nicht bestanden. Als ich als Freigänger in Berlin tagsüber an der Schaubühne gearbeitet habe – das war eine ungeheuer spannende Zeit. Aber als ich die Hausbesetzerdemos erlebte und die Militanz auf seiten der Polizei, habe ich gesagt: Ich kann mich keine fünf Jahre bewähren, wenn ich da mitmache, dann bin ich irgendwann wieder im Knast.
Als du rauskamst, hattest du da das Gefühl, alles hat sich sehr verändert?
Zum Schlechteren. Die politische Szene war sehr flach geworden. Ich war durch die Diskussions- und Gesprächskultur der Sechziger-Bewegung verwöhnt gewesen, die Kritikfähigkeit der Leute. Das ist fast völlig weggebrochen, eine große Theoriefeindlichkeit aufgekommen. Auch bei den Grünen und bei den Autonomen wurde nicht mehr vernünftig diskutiert. Die Autonomen sind zu voraussehbar, berechenbar, zu sehr auf Gewalt fixiert, humorlos.
Woran liegt das? An der neuen Generation oder an der alten?
Es ist schon eine große Verflachung und Dickbäuchigkeit der älteren Generation. Beim langen Marsch durch die Institutionen sind die Institutionen durch sie selber durchgewandert.
Und das war der Grund dafür, daß du sagtest: Ich muß weg.
Ich habe gesagt: Ich steige in Deutschland aus und steige woanders ein. Ich hatte von einer Soligruppe den Tip bekommen, nach Grenada zu gehen: Eine Apo an der Macht, eine antiautoritäre Regierung, die viel umsetzte, von dem wir geträumt hatten. Mir ging es einfach darum, mich einzumischen mit dem, was ich drauf habe. In Grenada sagten sie, wir haben kein Theater, kannst du uns helfen, eins zu gründen? Doch Maurice Bishop wurde umgebracht, und dann marschierten die Amis ein. Später, in Nicaragua, bin ich im Auftrag von Ernesto Cardenal nach Bluefields gegangen, um dort im Volkskulturhaus zu arbeiten, Schauspieler und Regisseure auszubilden, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.
Was hat dich bewogen, dort wegzugehen?
Diese Mischung aus Rassismus und Machismo, die mich doppelt privilegiert macht, und teilweise auch ein Flügel der Sandinisten, der Hardliner-Flügel, der den Krieg gegen die Miskitios verschärfen wollte, der gar nicht zu gewinnen war. Ich war ihr Sympathisant.
Du lebst seit 1985 in Jamaika. Welche Formen des politischen Kampfes sind hier sinnvoll?
Was hier nötig wäre und woran ich auch beteiligt bin, ist eine Vernetzung der Basisinitiativen. Die Politik ist so verkrustet, die großen Parteien sind tribes, also Stämme, es herrscht unglaublicher Nepotismus, nur die Parteianhänger bekommen sämtliche Vergütungen von der Regierung, die Opposition gar nichts – auch bei Programmen, die jedem dienen sollen. Wenn eine neue Regierung am Ruder ist, reißt sie erst mal die Strukturen der alten Regierung ab, um neue zu errichten, und es kommt zu einem totalen Stillstand. Wichtig ist, eingebettet zu sein in eine Kultur des Widerstands. Das hat weniger zu tun mit der hohen Politik als mit den Bedingungen, mit denen die Leute leben und die sie verbessern wollen: eine Vernetzung von Leuten, die Trinkwasser haben wollen, Schulen, bessere Straßen, Müllabfuhr. Daß sich in ganz Jamaika – auch in Sachen Umweltschutz – Bürgerinitiativen entwickeln. Zur Zeit ist Umweltbewußtsein überhaupt noch nicht vorhanden.
Hat Jamaika ein demokratisches System?
Man darf nicht vergessen, daß die beiden Parteien hier in den 70er Jahren bürgerkriegsähnliche Schlachten geschlagen haben. Es gab im Wahlkampf 1980 1.000 Tote. Aber hier in Jamaika existierte die Demokratie weiter. Die Polizei ist allerdings unglaublich gewalttätig. Hier haben sie sofort M16 bei Demonstrationen. Es wird auch scharf geschossen. Die Jamaikaner gelten als die gewalttätigsten Leute der Karibik. Das hat geschichtliche Gründe. Aber es gibt auch den Widerstand des Witzes, der Phantasie, der Sabotage, des Boykotts und so weiter. Die Schwarzen erfinden bis auf den heutigen Tag Krankheiten, die gar nicht existieren, zum Beispiel eine „Erkältung des Schienbeins“. Das ist die Tradition von Anancy. Anancy gilt als Schutzpatron von Jamaika, er ist ein Nebengott in der Götterwelt der Ashantis – klein, listig, faul und hedonistisch.
Der Held deiner jamaikanischen Krimiserie ist ein schwarzer Privatdetektiv – Ruffneck. Ist es nicht schwierig, sich in solch eine Figur hineinzufühlen?
Das Handwerk des Schriftsteller besteht ja zu 80 Prozent aus genauer Beobachtung und Zuhören. Ich habe 1991, als meine Tochter fünf Jahre alt war, mit ihr das Patois [den jamaikanischen Dialekt] gelernt, und dann habe ich es mir zugetraut. Die Sprache ist die Seele des Volkes. Man sagt, der Kriminalroman wirft einen psychiatrischen Blick auf die Gesellschaft. Und zwar nicht im Sinne der Einfühlung, sondern der ganz genauen Tatsachenbeschreibung. Ich habe erst angefangen, in der Er-Form zu schreiben, dann habe ich umgestellt, dabei aber einen Trick benutzt: Daß nämlich die beiden Hauptfiguren in London zur Ausbildung waren, dort in Brixton in die Unruhen reingekommen sind, wo die Polizei sehr rassistisch war und wo sie auch wieder auf beiden Seiten der Barrikaden standen. Als Polizisten offiziell auf seiten der Whities und mit dem Herzen auf seiten der Jamaikaner von Brixton. Und so haben sie einen kritischen Blick auf ihre eigene Gesellschaft entwickelt. Also die Benutzung einer gewissen Fremdheit des Blicks. Das zweite ist, daß ich recht realistisch die Männer nicht als große Helden darstelle, sondern als Schlitzohren. Die kritischen Geister, die durchblicken, das sind die Frauen, wie es in Jamaika wirklich der Fall ist.
Wie sieht das Gesamtprojekt aus?
Es gibt in Jamaika 14 Parishes – so etwas wie Bundesländer. Jedes Buch beschäftigt sich mit einem Parish und einem bestimmten Thema. Der erste Band war naturgemäß der schwierigste, weil ich hier den Hintergrund entfalte, vor dem alle späteren Bücher stattfinden werden. Und da habe ich als Thema „Gewalt und Politik“ gewählt, weil es den Jamaikanern unter den Nägeln brennt. Einerseits wird viel darüber gesprochen, aber auch in verdrängter Form, weil die Risse durch die Familien gegangen sind und das die Gesellschaft traumatisiert hat. Ich habe festgestellt, daß es hier eine Gegenwartsliteratur nur gibt in Form von Lyrik, Kurzgeschichten und Musik. In der Musik wird die Gesellschaft unglaublich reflektiert, es ist eine phantastische Weise, die gesellschaftlichen Gegebenheiten zu spiegeln. Das macht die hiesige Dance-hall- und Reggea-Szene. Wer ein bißchen die Sprache Patois versteht, merkt, daß das praktisch ständige Kommentare sind zu den Nachrichten, die abends im Fernsehen und Rundfunk kommen. Aber was hier fehlt, ist die Tradition der Langprosa, weil die Autoren, die Langprosa schreiben, fast alle ausgewandert sind.
Man könnte also sagen, du bist der wichtigste Langprosa-Autor Jamaikas?
Ja, als Gegenwartsautor. Als den sieht mich auch das Verlagshaus hier in Kingston, wo die Bücher auf englisch erscheinen werden.
Wird Ruffneck da Patois sprechen?
Die Erzählpassagen werden auf englisch sein und die Dialoge etwas ins Patois gehoben, so daß ein Brite und Amerikaner es noch versteht. Das geht im Deutschen natürlich nicht. Was ich aber reinbringe, das sind diese wunderschönen Redensarten und Sprichwörter. Die entstehen hier ständig neu. So der schöne Kommentar von Valerie, der Freundin Ruffnecks, als sie den ehemaligen linken Professor aufsucht, der inzwischen total auf den liberalen Turbokapitalismus schwört. Da sagt sie – obwohl er zur selben Partei gehört wie sie – linke Sozialdemokratie –, als einzigen Kommentar: „Je höher der Affe klettert, desto mehr zeigt er seinen Arsch.“ Das sieht man ja bei Joschka Fischer und Kollegen auch.
Schreibst du die Romane mit Blick auf Deutschland?
Ich schreibe über die Bande. Ich mach's praktisch wie Traven, der über soziale und ökonomische Bedingungen in Mexiko geschrieben hat und teilweise Deutschland damit meinte. Was in meinen Büchern auch immer drin ist, ist, daß ich eine andere Lebensweise vorstelle, etwa die von Ruffneck, der sich eben nicht beeilt. Er läßt alles langsam angehen, und er schummelt lieber. Das machen die Jamaikaner sehr gern, sie sind generell antiautoritär.
Können also die Deutschen von den Jamaikanern etwas lernen?
Ich bemerke einfach mit riesengroßem Entsetzen, in jedem Jahr, wenn ich in Deutschland bin, daß die Umgangsformen und die Informationen immer schneller werden. Und immer weniger unterm Strich da bleibt. Alle haben irgendwelche Dates, selbst Kinder schon, es ist grauenhaft. Nach der Schule Reitunterricht, Tanzunterricht, alles schon total verplant. Man kann von Drittweltländern durchaus lernen. Und man kann den Leuten hier klarmachen, wenn ihr die imitiert, kommt ihr in die gleiche Scheiße rein, in der die bis oben hin stecken. Ich mache ja sehr viele Lesungen in Deutschland, wenn's geht auch mit Band. Ich bin etwas verwöhnt worden durch die Sechziger-Bewegung, als ungeheuer intensiv am Text diskutiert wurde. Heute wird es mehr zum Anlaß genommen, die eigenen Nöte und Schwierigkeiten zu thematisieren: „Du bist ja einfach hier ausgestiegen, und wir haben's ungeheuer schwer in unserem politischen Kampf. Du bist ja einfach abgehauen!“
Hast du vor, hier in Jamaika zu bleiben?
Ich bleibe hier. Ich habe mir schon ein schönes Grab ausgesucht, auf meinem eigenen Grundstück, mit Blick aufs Meer. Interview: Thomas Pampuch
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