: Flüge über den Kosovo nur mit Mandat?
Unter welchen Voraussetzungen kann die Nato militärisch eingreifen? Darüber streitet die Koalition munter weiter ■ Von Bettina Gaus
Der Streit zwischen Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und Außenminister Klaus Kinkel (FDP) über die Frage, welche Voraussetzungen für eine Nato-Militäroperation im Kosovo zwingend erfüllt sein müssen, ging auch gestern weiter. Der Außenminister besteht für einen Einsatz weiterhin auf einem Mandat der Vereinten Nationen: „Auch unsere Soldaten brauchen einen sicheren Rechtsraum.“
Dagegen ist der Verteidigungsminister im Gegensatz zu dem, was er noch vor einer Woche gesagt hatte, inzwischen der Meinung, ein Nato-Einsatz im Krisengebiet sei auch ohne Mandat des Weltsicherheitsrats möglich. Ein solches wäre zwar „ideal“, notwendig sei aber lediglich „eine ausreichende rechtliche Grundlage.“
Was unter dieser Grundlage konkret zu verstehen ist, dazu mochte sich Rühe gestern nicht äußern: „Dies ist nicht die Stunde des Streits der Juristen.“ Man solle über diesen Punkt jetzt nicht spekulieren: „Wir wollen ein Ende des Mordens haben. Schauen Sie sich doch mal die Bilder an von den Menschen, die über die Berge vertrieben werden.“ Rühe zeigte sich zuversichtlich, daß für eine Beteiligung der Bundeswehr an einem möglichen Einsatz der Nato im Kosovo im Bundestag eine breite Mehrheit gefunden werden könne.
Diese Zuversicht ist verständlich. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) war der einzige Parlamentarier aus der ersten Reihe, der sich gestern öffentlich für ein UNO- Mandat als Voraussetzung für einen Nato-Einsatz aussprach: „Es muß auch im völkerrechtlichen Bereich ein Gewaltmonopol geben. Dieses liegt beim Sicherheitsrat.“ Übungsflüge über Albanien und Mazedonien erforderten ein UNO-Mandat nicht, erklärte Kinkel: „Anders verhält es sich mit einem möglichen Nato-Einsatz im Kosovo selbst oder in dessen Luftraum: Eine solche Zwangsmaßnahme läßt sich nur über Kapitel VII der VN-Charta legitimieren. Hierfür ist ein Mandat des Sicherheitsrats erforderlich.“
Dies sieht der SPD-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder anders. Er hatte bereits vor einigen Tagen erklärt, ein Einsatz sei notfalls auch ohne UNO-Auftrag möglich. Allerdings gibt es einen Parteitagsbeschluß der Sozialdemokraten, der Bundeswehreinsätze nur mit einem gültigen Mandat der Vereinten Nationen zulassen will. Schröders neue Linie ist innerhalb der SPD-Fraktion nicht unumstritten; sie wird heute voraussichtlich auf ihrer Sitzung in Bonn über das Thema diskutieren. „Wir können zur Zeit nicht ohne UNO-Mandat tätig werden,“ sagte der SPD-Abgeordnete Freimut Duve zur taz. „Wir wollen ein Mandat,“ erklärte auch sein Fraktionskollege Günter Verheugen. „Wenn eine Lage entsteht, wo es kein Mandat gibt, dann müssen wir das neu bewerten. Die internationale Gemeinschaft muß sich erst einmal darüber klarwerden, was sie überhaupt will. Wir treten für eine weitreichende Autonomie des Kosovo innerhalb Serbiens ein.“
Der Fraktionschef der Bündnisgrünen, Joschka Fischer, war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Parteichef Jürgen Trittin nannte einen Nato-Einsatz ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates einen „Rechts-und Verfassungsbruch“ und äußerte grundsätzliche Zweifel am Sinn einer Militärintervention im Kosovo: „Ein solcher Einsatz würde den Separatismus in der Region stärken und weitere Krisen provozieren.“ Ohnehin sei die Position der Bundesregierung in der Angelegenheit unglaubwürdig: „So lange Flüchtlinge in den Kosovo abgeschoben werden, so lange nimmt die Bundesregierung die Situation der Menschen dort nicht ernst.“
Einig war man sich in einer Frage: Erst einmal müsse das Ergebnis des heutigen Gesprächs zwischen dem russischen Präsidenten Jelzin und seinem jugoslawischen Amtskollegen Milošević abgewartet werden. Das findet auch Bundeskanzler Helmut Kohl.
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