Ein Hauch von Abschied liegt in der Luft, wenn Kohl über Schäuble redet

■ Der Bundeskanzler stellt das neue Buch seines Kronprinzen vor, und keiner achtet darauf, was er sagt, sondern nur darauf, was es heißen könnte

Bonn (taz) – Er habe ein ganz schlechtes Gewissen gehabt, den Bundeskanzler um die Würdigung für sein neues Buch zu bitten, sagt Wolfgang Schäuble. Wo der doch ohnehin so viel zu tun habe. Aber dann habe er sich gesagt: „Stellt er's nicht vor, haben wir ein Problem.“ Verhaltene Heiterkeit im Publikum. Das Problem gibt es ohnehin. Eine Situation, in der sowohl der Fraktionschef der Union als auch Helmut Kohl das Wort ergreifen, läßt sich in diesen Tagen nicht schildern, ohne daß sie zu einem Bericht über eine Beziehungskiste wird.

Immerhin kennen ja auch alle Beteiligten die Lage, wissen um die übermächtige Lust der Beobachter am Psychospiel und wählen ihre Worte entsprechend. Wie läßt sich vor diesem Hintergrund Kohls Laudatio auf Schäubles neues Buch „Und sie bewegt sich doch“ anders werten, als daß es dem Kanzler nicht gefällt? „Mutig“ hat er es genannt, „wichtig“, „glaubwürdig“ und „ehrlich“. Von „gut“ oder „richtig“ hat er nicht gesprochen.

„Das Buch ist ein einziges Kontrastprogramm“, sagt Kohl, „das Gegenteil des Anpassens an den Zeitgeist.“ Schäuble „versucht Antworten“. Er habe die Probleme der Zeit „aus seiner sehr persönlichen Sicht“ geschildert. Also nicht aus der des Regierungschefs?

Es ist schwer zu entscheiden, wo die Botschaft des Redners endet und die eigene, womöglich unzulässige Interpretation beginnt. Ein Hauch von Abschied liegt über der Würdigung des Kanzlers, wie über fast allen seinen Äußerungen in diesen Wochen. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle kann gar nicht so viel über die Zeit nach Helmut Kohl nachdenken wie dieser selbst es tut.

Wolfgang Schäubles Buch über deutsche und europäische Probleme sei der Zukunft zugewandt, sagt der Kanzler. Damit will er etwas Freundliches sagen und drückt doch nur die uralte Verachtung der Alternden gegenüber den fehlenden Erfahrungen der Jüngeren aus. Helmut Kohl spricht über den Euro und über die deutsche Währungsreform, er erinnert sich, wie er damals vierzig Mark auf die Hand bekommen hat und das meiste Geld davon zu Hause abgab. Ganz selbstverständlich sei das gewesen. Wolfgang Schäuble habe „einen großen Teil“ dieser Zeit miterlebt.

Diesen nun eben gerade nicht. 1948 war Schäuble fünf Jahre alt.

An der öffentlich zelebrierten Freundschaft zwischen König und Kronprinz mag Kohl allerdings nicht rütteln. Hier lassen seine Worte keine mehrdeutige Interpretation zu. „Verantwortung ist der Begriff, der uns beide besonders verbindet.“ Er dankt Wolfgang Schäuble für Kameradschaft und Treue. Und er hebt „die Erfahrung“ hervor, „daß wir uns aufeinander verlassen können“.

Helmut Kohl weiß, daß er mit dem Rücken zur Wand steht. Wolfgang Schäubles Buch sei „ein Signal in einer auch für uns nicht einfachen politischen Situation“. Gemessen an Umfragewerten und politischen Leitartikeln ist dieser zarte Hinweis ein Euphemismus. Gemessen an der unbeirrbar scheinenden Siegeszuversicht des Kanzlers zeigt der Satz, daß auch er an die Niederlage als eine Möglichkeit zu denken gelernt hat. Bettina Gaus