: „Nicht daran denken, wo man sie hinkriegen will“
■ Über akzeptierende Jugendarbeit, Fußball-Fans und Neonazis: Vier Hamburger ExpertInnen im Interview, Teil 2
taz: Was haben Sie denn den Jugendlichen angeboten, was attraktiver war als das Angbot der Neonazis?
Lothar Knode: Ganz ähnliche Geschichten. Ich bin mit denen auch in die Natur gegangen, natürlich nicht zum Marineehrenmal nach Laboe, wie sie das wollten, sondern zum Zelten an die Ostsee. Da hab' ich sie bei der Nachtwanderung am Strand ordentlich rumgescheucht. Oder wir haben, nach ausführlicher Vorbereitung, den Film „Stalingrad“ von Vilsmaier angeschaut. Der lief im Winter an. Da haben wir uns eine halbe Stunde vorher getroffen, das Kino machte aber erst zehn vor auf – da hab' ich sie extra zwanzig Minuten frieren lassen, damit die sehen, daß das kein Spaß war in Stalingrad; und es war arschkalt.
Oder es gab Mutproben zu bestehen: Sie mußten in die Apotheke gehen und sich Kondome kaufen, und ich hab' sie dabei fotografiert. Oder wir haben geübt, Liebesbriefe zu schreiben. Ganz wichtige Geschichten, die woanders nicht laufen. Denn bei den Neonazis werden zwar bestimmte Mädchen rumgereicht und Zoten erzählt, aber sonst ist das Thema Sexualität tabu.
Gudrun Pluschke: Aber es ist für diese Jugendlichen auch schon eine neue Erfahrung, daß sie überhaupt mal einen Ansprechpartner haben. Am Anfang darf man dann nicht den Gedanken im Hinterkopf haben, wo man sie hinkriegen will – sie fühlen sich ja sehr schnell agitiert. Natürlich hat man das Ziel, die gesellschaftliche Integration zu erreichen, aber zunächst muß überhaupt erstmal die Ansprechbarkeit da sein.
In Lohbrügge hatten Sie aber auch das hochgesteckte Ziel, organisierte Jugendliche wieder aus der Neonazi-Szene rauszubrechen – ist Ihnen das gelungen?
Knode: Ich hab' mehrere Jahre mit rund 30 jungen Männern gearbeitet, die bei den Neonazis organisiert waren. Davon sind mittlerweile alle ausgestiegen, bis auf zwei. Zu denen halten wir aber weiter Kontakt, weil wir über sie Informationen kriegen. Die haben in anderen Jugendeinrichtungen Hausverbot, nur zu uns kommen sie hin und wieder, trinken einen Kaffee und erzählen was.
Gibt es denn heute noch Rekrutierungsversuche in Lohbrügge? Der Verfassungsschutz hat ja beobachtet, daß sich die organisierte Neonazi-Szene deutlich vergrößert hat, zum Beispiel der „Freundeskreis um Thomas Wulff“.
Knode: Drei Jahre lang war nichts los, weil die „Nationale Liste“, also der Vorläufer des „Freundeskreises“, Anfang 95 verboten worden war. Außer am Rudolf-Hess-Gedenktag hat man die Leute öffentlich nicht gesehen. Aber jetzt, ganz aktuell, gibt es wieder eine offene rechte Szene in Bergedorf. Im April haben 20 Skinheads zwei Peterwagen mit Eisen-stangen demoliert. Bislang alles nur junge Erwachsene, die zweite Garde der Neonazis – die Kader sind eher außerhalb Hamburgs tätig. Aber wir beobachten nun sehr genau, ob sie versuchen, Jugendliche mit Alkohol zu ködern. So fängt das ja immer an: Sie geben Bierrunden aus, dann nehmen sie die Jugendlichen auf Kameradschaftsabende mit, dann zu wehrsportähnlichen Geschichten, dann kriegen sie eine Uniform ... Sobald sie Kinder und Jugendliche rekrutieren, werden wir wieder verstärkt aktiv.
Wolfgang Hammer: Wir werden auch darauf achten, welche Wahlerfolge rechtsextreme Parteien in den nächsten zwölf Monaten haben werden und ob das den Neonazis Mut macht, wieder aktiver zu rekrutieren. Ob Jugendliche auch wieder glauben, daß es „in“ sein könnte, rechts zu sein.
Dieter Bänisch: Nach all den Brandanschlägen und der gesellschaftlichen Reaktion darauf hat man sich als sich outender Rechter ja nicht mehr sicher gefühlt, jedenfalls in Hamburg nicht. Aber seit zweieinhalb Jahren nimmt das Interesse wieder zu, auch im Fußballbereich.
In HSV-Fanblock im Volksparkstadion sollen Neonazis erneut Flugblätter verteilen ...
Bänisch: Ja, das nimmt wieder zu. Wobei uns die Agitatoren, mit denen wir geredet haben, immer sagen, wie schwer das sei. Sie sind am Verzweifeln. Wir hingegen sind natürlich stolz darauf, daß die Fans ganz klar sagen: Politik – nein danke. Wobei wir bei St.Pauli sagen: Politik – ja bitte. Das unterscheiden wir sehr genau.
Der Hamburger Verfassungschutz registriert jetzt auch in Rahlstedt, Bramfeld und Farmsen-Berne eine größere gewaltbereite und ausländerfeindliche Szene gebe – sind Sie da dran?
Hammer: Wir hätten solche Vorkommnisse aus der pädagogischen Szene oder anläßlich unserer Konferenzen mit der Polizei erfahren müssen. Den Beteiligten liegen hierzu keine aktuellen Erkenntnisse vor.
Interview: Christine Holch
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