La Belle-Prozeß vor dem Aus?

■ Verteidigung und Staatsanwaltschaft lehnen das Gericht ab. Verfahren um Sprengstoffanschlag steht vor einer Entscheidung

Berlin (taz) – Acht Monate nach Prozeßbeginn steht das Verfahren um den Sprengstoffanschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ am 5. April 1986 an einem Wendepunkt. Nachdem die 39. Große Strafkammer beim Berliner Landgericht in der letzten Woche zu erkennen gab, daß sie die Aussagen des Hauptbelastungszeugen Musbah Eter für nicht verwertbar hält, stellten erst die Anwälte der Nebenkläger Anträge auf Ablehnung der Gerichts. Wenig später zog die Anklagebehörde nach. Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis beantragte, die Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.

Anlaß waren die Ausführungen der Strafkammer, die der Staatsanwaltschaft unlautere Methoden bei der Vernehmung des Zeugen Eter vorgeworfen hatte. Schwarz auf weiß bescheinigte das Gericht dem Ankläger Mehlis, er habe den Zeugen mit einer „Täuschung“ zu einem Geständnis verleitet. Er habe dem Angeklagten den „irrigen Eindruck“ vermittelt, er könne mit einer deutlichen Strafmilderung rechnen. Über die Befangenheitsanträge entscheidet nun eine andere Kammer des Landgerichtes.

Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, sie wird den weiteren Verlauf des Prozesses beeinflussen. Wird den Anträgen stattgegeben, ist das Verfahren erst einmal geplatzt. Und sollte es anschließend überhaupt zu einer Neuverhandlung kommen, dann muß der Prozeß wegen des Attentates, bei dem drei Menschen getötet und über 200 verletzt wurden, neu aufgerollt werden. Werden die Befangenheitsanträge abgelehnt, wird das Verfahren zwar fortgeführt – nur ist dann ein zentraler Punkt der Anklage zusammengebrochen.

Die früheren und mittlerweile widerrufenen Aussagen des Angeklagten Eter, der in einer Vernehmung Libyen als Drahtzieher des mörderischen Anschlags bezeichnet hatte, sind dann zur Beweisführung gegenstandslos. In der Folge dürften dann die Haftbefehle gegen Eters Mitangeklagte aufgehoben werden. Die beiden Männer und zwei Frauen sitzen nicht zuletzt deshalb noch in Untersuchungshaft, weil der ehemalige libysche Diplomat Eter sie in seinem „irrtümlichen“ Geständnis beschuldigt hat, das Attentat ausgeführt zu haben.

Die Beweisnot der Anklagebehörde wird wahrscheinlich sogar noch größer werden. Kaum hatte die Staatsanwaltschaft Ende letzten Jahres das Geständnis Eters präsentiert, schoben sich die Mitbeschuldigten gegenseitig den Schwarzen Peter in die Schuhe. Wenn nun das Geständnis Eters nicht mehr zu verwerten ist, werden wohl auch die anderen Angeklagten ihre Aussagen widerrufen. Dann muß sich die Staatsanwaltschaft im wesentlichen auf Akten der Stasi stützen, die nach dem Anschlag die Hintergründe auszuloten suchte. Den zuständigen Stasioffizier können die Ankläger nicht mehr laden. Wenige Wochen vor Prozeßbeginn kam er zusammen mit seiner Ehefrau bei einem Verkehrsunfall in Portugal ums Leben. Wolfgang Gast

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