piwik no script img

Streit um Volk beendet

Koalitionäre beschlossen in der Bürgerschaft Alternativentwurf zu „Mehr Demokratie“. Die „Sechserbande“ stimmte brav mit  ■ Von Silke Mertins

Kleine Gemeinheiten erhöhen die Freude am parlamentarischen Leben. Die CDU ließ es sich gestern nicht nehmen, in der Bürgerschaft zur Frage der Volksgesetzgebung namentlich abstimmen zu lassen. Man wollte doch gerne sehen, ob die „Sechserbande“ der SPD unter Führung von Jan Ehlers, die ursprünglich einen GAL-feindlichen Antrag gestellt hatte, sich nun zu einem klaren Ja zum Koalitionskompromiß durchringen konnte. Sie konnte. Mit 70 Ja- und 44 Nein-Stimmen wurde der rot-grüne Alternativantrag zu dem Gesetzesentwurf von „Mehr Demokratie“ gestern in der Bürgerschaft angenommen. Damit stehen am 27. September zwei Vorlagen zur Wahl.

Zuvor hatte Jan Ehlers den Sinneswandel in dieser zur Gewissensentscheidung hochstilisierten Frage gerechtfertigt. „Als wir den Antrag gestellt haben, war ein Kompromiß nicht in Sicht“, so Ehlers, inzwischen habe die GAL aber eingesehen, daß sich die SPD nicht zur Handlungsunfähigkeit zwingen lasse. Die Koalitionäre hatten sich am Wochenende darauf geeinigt, die Volksentscheidhürden moderat abzusenken; 20 statt wie bisher 25 Prozent der Wähler müssen einem Gesetzesentwurf zustimmen. Wenn ein Drittel der Wahlbevölkerung teilnimmt, reichen 16,5 Prozent.

„Sie haben aus taktischen Gründen Ihre eigene Position aufgegeben“, geriet CDU-Oppositionsführer Ole von Beust in Wallung. Der Kompromiß sei inhaltlich unstimmig und teilweise gesetzeswidrig. Außerdem: „Ihnen war der Koalitionsfriede wichtiger als der Konsens der Demokraten.“ Und das, obwohl die Stimmen der CDU zukünftig gebraucht werden. Denn wahrscheinlich bekommt keine der beiden Vorlagen die erforderliche verfassungsändernde Mehrheit von 50 Prozent. Will die Bürgerschaft trotzdem die Verfassung ändern, muß die CDU mitziehen. „Zustimmung zu Unsinn werden Sie von uns nicht kriegen“, stellt von Beust klar. Vor allem die GAL werde sich noch wundern, was bei diesen geringen Hürden beschlossen werden könne – etwa geschlossene Heime.

„Es ist eine Herausforderung für die parlamentarische Demokratie“, sagte SPD-Fraktionsvize Walter Zuckerer. „Eins ist richtig: Für uns ist es unbequemer.“ SPD-Fraktionschef Holger Christier warnte die Oppositionspartei außerdem davor, die Wähler zu verwirren. „Ihre abweichende Position wird Orientierungslosigkeit bei Ihren Wählern auslösen.“ Denn die CDU ist für die Beibehaltung der jetzigen Hürden, von der Bürgerschaft liegt ein Alternativentwurf vor, und dann gibt es auch noch den von „Mehr Demokratie“.

GAL-Verfassungsexperte Martin Schmidt hielt sich nicht lange mit Oppositionsschelte auf, sondern freute sich. „Wir stehen jetzt deutlich besser da als alle anderen Bundesländer außer Bayern.“ Er will sich dafür einsetzen, daß Markus Hiller und Michael Efler von „Mehr Demokratie“ einen Orden vom Senat bekommen. „Dafür, daß sie uns allen eine wichtige öffentliche Debatte aufs Auge gedrückt haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen