: Kurzer Exkurs übers Eigentum
■ Ein Kreuzberger Dokumentarfilm von Imma Harms und Thomas Winkelkotte über den Wandel von „mein“ und „dein“ seit der Wende
Das Gebiet zwischen Mariannenplatz und Köpenicker Straße war bis Ende 1989 eine Idylle „im Schatten der Mauer“ gewesen: Künstlerhaus Bethanien, Georg- von-Rauch-Haus mit Wohnwagen drumherum, die Thomaskirche und dahinter zwei Schrebergärten mit einem zweistöckigen Bethaus und drei Bäumen auf einer ehemaligen Verkehrsinsel, wo Osman Kalin und Mustafa Akyol mit ihren Frauen und Kindern Sonnenblumen und Gemüse anbauen. Sie wohnen im letzten stehengebliebenen Haus dahinter. Kalin ist schon 1944 – „als Verbündeter“ – nach Deutschland gekommen. Ihre Gärten befinden sich im Westen, stehen aber auf DDR-Gebiet. Deswegen hat niemand vom Tiefbauamt oder von der Polizei dort etwas zu sagen gehabt, und die Grenzoffiziere ihnen die Gartenanlage sogar ausdrücklich erlaubt. Die Nachbarn stiften später Zaunmaterial.
Nach der Wiedervereinigung rücken ihnen jedoch Planer und Tiefbauamtsleiter aus Mitte auf die Pelle. Der Kreuzberger Bürgermeister hält zwar schützend seine Hand über die „Öko-Laube“, aber er hat dort bald nichts mehr zu sagen. Die Mauer ist verschwunden und der gleich dahinter verlaufende Luisenstädtische Kanal, der als Todesstreifen zugeschüttet war, soll mit ABM und enormen Sachmitteln (wieder) zu einer Lennéschen Promenade rückgebaut werden. Der Pastor der Thomasgemeinde, wo man mangels Gläubigen bereits darüber nachgedacht hat, sich das inzwischen renovierte Kirchenschiff mit einer islamischen Gemeinde zu teilen, verhindert zweimal eine Räumung der Schrebergärten. Dann geht jedoch den Kanalplanern gottlob! das Geld aus, und es kehrt erst einmal wieder Ruhe ein.
Inzwischen hat der Innensenator aber die Rollheimer-Siedlungen auf dem Kanalmittelteil „Engelbecken“ und dann auch auf der anderen Spreeseite an der „East Side Gallery“ räumen lassen. Ein Teil dieser Wagenburg verlagerte sich daraufhin an den Bethaniendamm auf den imaginär gewordenen Mauerstreifen zwischen Kinderbauernhof, Rauch-Haus und den zwei türkischen Gemüsegärten. Auch diese Siedlung wird schließlich mit schwerem polizeilichen Räumgerät auseinandergetrieben ... All diese gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um ihr „Paradies“ lassen Osman Kalin und Mustafa Akyol nicht kalt. Das Ehepaar Kalin verkauft seine Zwiebeln auf dem Markt am Maybachufer. Irgendwann verrücken sie den Zaun zwischen den beiden Gärten um einige Meter, so daß sich ihr Land auf Kosten von Akyols Anbaufläche vergrößert. Der quasi interne Streit darüber gefährdet das Biotop der beiden Türken nun zusätzlich. Vielleicht wollten sie damit aber auch nur die ganzen Konflikte um sie herum wieder zu ihrer eigenen Angelegenheit – zwischen zwei Grundstücksbesitzerfamilien – machen?
Der Film „Was man so sein eigen nennt“ von Harms und Winkelkotte beantwortet diese Frage nicht, obwohl er sonst vor philosophischen Erörterungen – z.B. der Frage, was permanentes Glück und flüchtiges Eigentum überhaupt sind – nicht zurückscheut. Helmut Höge
Premiere heute um 21 Uhr in der Thomaskirche am Mariannenplatz. Ebenfalls gezeigt wird ein sogenannter Autofocus-Film über die Alternativ-Stiftung Netzwerk, die diesen Film bezuschußte.
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