: Bosheiten am Rande der Rennstrecke
Der Braunkohletagebau ist tot. Eine Autorennbahn soll die Lausitz wieder zum Leben erwecken. Das wollen alle, nur eine Familie bremst. Darum geben Berliner Bankmanager jetzt mächtig Stoff und wiegeln die Leute auf ■ Aus Schipkau Georg Löwisch
Im Führerhaus des Baggerriesen steht ein kleiner Dicker mit rosa T-Shirt. „Im nächsten Mai ist Schluß hier“, ruft er rüber. Dann würden noch einmal so an die 800 Braunkohlearbeiter entlassen, sagt er, für einen Teil gebe es noch ein paar Jahre Arbeit beim Aufforsten der Flächen, die beim Tagebau gelitten haben. „Dann ist gar nischt mehr“, sagt er, lässig, als ob ihn das nichts anginge. Daß auch er dabei seinen Job loswird, das sagt er erst auf Nachfrage. Und weil das jeder in der Lausitz wüßte, das dann gar nichts mehr gehe in der Lausitz, „hoffen alle auf den Ring“.
So einfach ist das: Der Lausitzring, eine Autorennstrecke mit allerlei Nebenspektakeln, soll die Region wieder zum Leben erwecken – darauf hat man sich in den Gemeinden Hörlitz, Klettwitz, Meuro und Schipkau festgelegt.
„Der Ring muß kommen“, heißt es denn auch auf einem Schild, das ein Mann im Trainingsanzug hochhält. Das Schild ragt aus der Menge, die auf dem Marktplatz von Schipkau zusammengekommen ist. Fahnen werden geschwenkt, auf denen Opel, Ferrari und der Name des Formel-1-Königs Michael Schumacher stehen. Kleinbusse von Baufirmen und fünf Feuerwehrautos umgeben den Platz, weshalb die Leute dichter stehen müssen als eigentlich notwendig wäre. Die Enge und der Geruch von Glühwein schaffen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Einig ist man sich eh.
Auf einen Lastwagen, der als Bühne dient, steigt ein Mann. „Pro Lausitzring“ steht auf seiner Baseballmütze. Hartmut Wusch. Drüben in Klettwitz gehört ihm die Gaststätte „Alte Eisenbahn“. Er erzählt, daß er kürzlich eine Auszubildende eingestellt habe. „Wenn der Lausitzring kommt, hat sie ihren Ausbildungsplatz sicher“, sagt Wusch. „Sonst tut's mir leid um das Mädel.“
Wenn nicht, dann... Sätze wie diese fallen in letzter Zeit oft in der Lausitz. Und weil alle Angst haben, vor dem Nichts zu stehen, sind sie so wirkungsvoll. Sie wirken gegen jegliche Bedenken, daß das Projekt vielleicht scheitern könnte. Und sie machen klar, daß, wer gegen den Ring ist, im Unrecht sein muß – und ein Verräter ist.
Die Investoren lachten sich halbwegs tot
René Hartwich ist gegen den Ring. Die Familie des 26jährigen wohnt in Hörlitz am Rande des ehemaligen Tagebaus, nur einige hundert Meter von dort entfernt, wo einmal Rennwagen mit 400 Stundenkilometern entlangdonnern sollen. 1992 ist Hartwich zum ersten Mal ins Klubhaus in Hörlitz gegangen, um bei einer Anhörung der Planer zu sagen, daß er das Projekt für „ökologisch sinnlos“ halte. Da sei er abgeblitzt: „An der Verwirklichung des Projekts besteht ein erhebliches öffentliches Interesse“, habe ihm der Planungsverband mitgeteilt. Fünf Jahre später, inzwischen hatte er ein Jurastudium fast fertig, ging er wieder ins Klubhaus, diesmal mit einem zwölfseitigen Schriftsatz rechtlicher Einwände gegen das Vorhaben. Da hätten ihm die Topanwälte der Investoren mitgeteilt, er müsse wohl noch ein bißchen lernen. „Man hat sich halbwegs totgelacht“.
Dazu hatten die Befürworter des Rings durchaus Grund. Schließlich hatte die Brandenburger Regierung zugesagt, von den 310 Millionen Mark, die das Projekt kosten soll, satte 241 Millionen zu übernehmen. Und weil seriöse private Investoren unauffindbar waren, finanzierte den Rest eben die Bankgesellschaft Berlin. Die wiederum gehört mehrheitlich dem Land Berlin. Mitte Juni begann man zu bauen – mit Startschuß, wie es sich für eine Rennstrecke gehört. Der ADAC versprach gar, sämtliche Fahrten von der Berliner Avus-Strecke in die Lausitz zu verlegen, im Jahr 2000 sollte es losgehen. Schulklassen besichtigen seither im ehemaligen Hörlitzer Bürgermeisteramt ein Modell des Lausitzrings – die drei Rennkurse sind mit grünen und roten Lichtchen markiert. Vom Foto daneben grinst Schumacher und weist auf einen Geländeplan.
Doch inzwischen lacht niemand mehr.
Kaum hatten die ersten Bauarbeiten begonnen, taten sich Probleme auf. Eigentlich war geplant, daß auch die Autoprüfgesellschaft Dekra den Ring mitbetreibt. Man hatte sich aber mit Projekten andernorts überhoben, etwa mit dem Festspielhaus in Baden-Baden, und konnte darüber hinaus nicht mit Bankgesellschaft und ADAC. Also verabschiedete sich die Dekra vom Projekt und will nun nur noch ein Technikzentrum am Rande der Rennstrecke errichten. Da ging auf einmal die Angst um in Klettwitz und Umgebung, daß es doch nichts würde mit dem Traum.
Und dann kamen auch noch im Juli auf Eilantrag der Hartwichs drei Richter aus Cottbus nach Hörlitz, um sich vor Ort umzusehen. Eine Entscheidung fiel zwar nicht, aber die Investoren mußten sich plötzlich anhören, daß an der ersten Teilgenehmigung ihres Vorhabens rechtliche Zweifel bestünden.
Die erbosten Bankmanager machten sich daran, das Problem auf ihre Art zu lösen: Am 17. August lud Projektleiter Frank Herdmann zu einer Pressekonferenz in Hörlitz ein. „Es ist ein einziger Gegner des Projekts übriggeblieben“, verkündete er, „alle anderen Kritiker haben sich damit mehr oder weniger arrangiert.“ Wegen einer einzigen Familie müsse der Bau gestoppt werden – solange bis der Widerspruch zurückgezogen werde, predigte Herdmann.
Die Hörlitzer hatten verstanden. Die Ring-Befürworter marschierten samt der Bürgermeisterin zum Haus der renitenten Familie. Als das Ehepaar Hartwich nach Hause kam, ließ die Menge es zwar unbehelligt passieren, aber dafür, erzählt Renate Hartwich, seien später Motoradfahrer ohne Licht nah an ihr vorbeigebraust. Den Stecker des Telefons zog die 52jährige aus der Dose, als sich wiederholt Unbekannte erkundigten, ob die Familie denn noch lebe.
Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein Brief: „Zuerst stirbt Euer Sohn, dann wird das Haus abgefackelt, dann könnt Ihr genießen.“ Seitdem zieht Renate Hartwich vorsichtig die Gardine zur Seite und lugt auf die Straße. Es könnten ja Motorradfahrer kommen.
Vom Landrat bis zum Bürgermeister – in Schipkau auf dem Marktplatz beeilen sich alle, zu betonen, daß sich die Versammlung mit Feuerwehrautos, Glühwein und Schumi-Fahnen „nicht gegen irgend jemand richtet“. Schließlich wäre nichts dümmer als „unüberlegte Handlungen“, sagt Landrat Holger Bartsch. Denn das würde womöglich die „Investition in die Zukunft“ diskreditieren.
Bankmanager Herdmann spricht nicht auf der Kundgebung. Er hat sich entschuldigen lassen. Es könnte ja dem feinen Banker hernach vorgeworfen werden, abermals die Lausitzer auf die Idee gebracht zu haben, den Hartwichs einen Besuch abzustatten. Dabei hätte er ruhig reden können. Vor dem Haus der Hartwichs patroullieren nach der Kundgebung Bereitschaftspolizisten. Aber Herdmann hat Karl-Ernst Schäfers geschickt, Chef einer PR-Agentur in Frankfurt am Main. Der sagt: „Das tut uns sehr leid, daß einige Trittbrettfahrer aufgesprungen sind.“ Selbstverständlich bestünden zwischen dem Baustopp und den Äußerungen einiger Wirrköpfe kein Zusammenhang. „Wir schüren nicht den Zorn der Bürger.“ Auch sei der Name der Familie ja nicht von der Bank ins Gespräch gebracht, sagt der PR-Mann. „Aus irgendwelchen Gründen hat sich der Name bekannt gemacht.“
An diesem Abend beteuern alle, daß niemand etwas Böses will. Den nächtlichen Besuch bei den Hartwichs am Abend des Baustopps nennt ein Redner einen „kleinen Abendspaziergang“. Und als sich am Glühweinstand zwei Männer anrempeln, schreit einer: „Aha, das erste Attentat!“ Man scherzt gern an diesem Abend.
Rohe Anrufe, ironische Spitzen und Gerüchte
Vielleicht sind es gar nicht die rohen Anrufe, die die Hartwichs unter Druck setzen. Vielleicht sind es jene Spitzen. Oder die Gerüchte, darüber, daß die Familie ja schon mal über ein Bauprojekt genörgelt haben soll und daß die Hartwichs sich haben bestechen lassen – von dem Planer einer Rennstrecke in Sachsen-Anhalt. Die schlechte Stimmung in den Dörfern hat vielleicht auch damit zu tun, daß die Perspektiven der Region auch mit Rennbahn unsicher sind. Denn die Rennstrecke selbst soll nur 20 bis 30 Menschen beschäftigen, ein Autoprüfzentrum noch mal 60. Dafür wird der Effekt, daß anreisende Motorsportfans Geld dalassen, immer wieder beschworen.
Andernorts fallen solcherlei Prognosen jedoch sehr viel vorsichtiger aus. So schrieb Ministerpräsident Manfred Stolpe den Lausitzern nebulös, Arbeitsplätze garantiere nicht allein der Ring, sondern das Motodrom „in Synergie“ mit anderen Tourismusbereichen. Ein Regierungsbeamter sagt es deutlicher: „Hier ist ein ganzes Stück weit das Prinzip Hoffnung dabei.“ Selbst in einem Gutachten, das der Förderverein Lausitzring beim Institut für Allgemeine Wirtschaftsforschung der Universität Freiburg in Auftrag gab, können keine Zahlen genannt werden. Das Datenmaterial sei „für eine Berechnung der Nettowertschöpfung unzureichend“.
Trotz dieser Unwägbarkeiten, will die Brandenburger Regierung an dem Projekt festhalten. Welcher Politiker würde sich schon trauen, den Lausitzern ihre Vision zu nehmen? Es müsse eine Einigung her und möglichst schnell weitergebaut werden, verkündete denn auch Wirtschaftsminister Burkhard Dreher am vergangenen Freitag. Er halte an dem Projekt fest, möglichst schnell müsse weitergebaut werden. Der Wille der Landesregierung allein würde allerdings nicht reichen, falls die Bankgesellschaft abspringt. Zur Zeit wollen die Banker noch durchziehen. Immerhin gibt es eine Fördersumme von fast einer Viertelmilliarde nicht alle Tage.
René Hartwich hat keine Lust, sich mit den Investoren zu einigen. Diese Leute hätten „gezielt den geballten Volkszorn losgetreten“. Von denen werde er sich „nicht auskaufen lassen“. Und seine Mutter erinnert sich: „Als ich und mein Mann an dem Abend nach Hause gingen, sind uns Leute entgegengekommen, die haben uns gesagt: ,Dreht lieber um. Was denkt ihr, was da an eurem Haus los ist?‘“, sagt sie. Sie gingen aber doch nach Hause.
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