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Vom Asienvirus infiziert

In Südamerika wird die globale Finanzkrise wegen verfallender Rohstoffpreise zur Exportkrise  ■ Aus Buenos Aires Ingo Malcher

Ein ehemaliger Wirtschaftsminister wird zum Exportartikel. Domingo Cavallo, während seiner Amtszeit Vater des erfolgreichen Anti-Inflationsplans in Argentinien, flog am Wochenende nach Moskau. Das Ticket bezahlte der geschäftsführende russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin, der Cavallo als Berater für die gebeutelte russische Wirtschaft anstellen will.

Den Brokern an der Börse von Buenos Aires kann das nur recht sein. Nachdem die Kurse vergangene Woche eine rasante Talfahrt hingelegt hatten, konnten sie sich am Freitag zwar leicht erholen, doch noch immer sind die Banker nervös. Jetzt hoffen sie auf den argentinischen Berater in Moskau, der das Vertrauen für internationale Geldgeber wieder herstellen soll.

Am vergangenen Donnerstag hatte ein durch die Rußlandkrise ausgelöster Kurssturz an der Wall Street die lateinamerikanischen Börsen mit sich nach unten gerissen. Panikverkäufe kennzeichneten das Geschäft an den Börse von São Paulo (minus 9,9 Prozent) und Buenos Aires (minus 10,6 Prozent). Zugleich gingen Prophezeiungen von Analysten um, Brasilien könne das nächste Opfer der Finanzkrise sein. Der Aktienindex an der Börse von São Paulo, Bovespa, hat in diesem Jahr schon 35 Prozent verloren. Der chilenische Index liegt um mehr als 45 Prozent unter dem Stand vor einem Jahr.

Dabei hatte die Asienkrise im gemeinsamen Markt Südamerikas (Mercosur), zu dem sich Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay zusammengeschlossen haben, bislang weniger hart zugeschlagen als erwartet. „Weil es eben eine Asienkrise ist“, meint der Wirtschaftsprofessor an der Universität von Buenos Aires, Jorge Schvarzer. „Investoren denken in Regionen, daher hat es Südamerika bislang nicht so hart erwischt.“

Die Krisen in Asien und Rußland stürzen Südamerika bislang allerdings weniger in Finanz- als vielmehr in schwere Handelskrisen. Da die asiatischen Länder ihre Währungen abgewertet haben – im Falle Koreas waren es 40 Prozent – und der russische Rubel sich im Sturzflug nach unten bewegt, sinken die Weltmarktpreise für die Produkte aus diesen Ländern. Daran haben südamerikanische Exporteure zu knabbern, da ihre Produkte dann im Vergleich überteuert sind und im Wettbewerb mit den Dumpingpreisen nicht mehr Schritt halten können.

Als Folge sinkt die Exportrate der südamerikanischen Länder. In Argentinien ist der schleppende Export wegen des überbewerteten Pesos schon längst zu einer chronischen Krankheit geworden, die Handelsbilanz ist traditionell negativ. Umgekehrt werden durch die Abwertungen in Asien die südamerikanischen Märkte mit asiatischen Asien überschwemmt, was wiederum die nationale Produktion bedroht.

Eine weitere Auswirkung der Asienkrise bedrückt die lateinamerikanischen Ökonomien: Weltweit ist die Nachfrage nach Rohstoffen gesunken, was die Preise tief fallen ließ. Gerade Chile, das einen Großteil seines Geldes mit dem Kupferexport verdient, bekommt das stark zu spüren. Argentinien leidet an den gesunkenen Öl- und Getreidepreisen, zwei Hauptexportprodukte. Wegen der billigen Preise für Rohstoffe steigt zwar der Absatz auf dem Weltmarkt, allerdings wird billiger verkauft, und damit kommt trotz der höheren Exportmengen weniger Geld in die Kasse. Schvarzer schätzt, daß Argentinien 1,5 bis 2 Milliarden Dollar Verluste wegen des Preisverfalls einfahren wird und errechnete für dieses Jahr ein Haushaltsdefizit von 5.000 bis 6.000 Millionen Dollar.

Anfang des Jahres dachten die Ökonomen im argentinischen Wirtschaftsministerium noch optimistisch, daß die Ausfuhren im laufenden Jahr um acht Prozent zunehmen würden. Doch daraus wurde nichts. In den ersten fünf Monaten des Jahres 1998 war das Wachstum der Exporte gleich Null, wie erst kürzlich das Ministerium für Industrie, Handel und Minen mitteilte. Das argentinische Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg in den ersten fünf Monaten dieses Jahres zwar um 6,9 Prozent, doch ist dies deutlich weniger, als die acht Prozent im vergleichbaren Zeitraum des vergangenen Jahres.

Da der Rückgang der Exporte die Konjunktur belastet, nimmt der Staat weniger Steuern ein. Im Falle Argentiniens führt das dazu, daß das Land seine Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Abbau des Haushaltsdefizits aller Voraussicht nicht wird einhalten können. Um das Vertrauen der internationalen Investmentgruppen nicht zu verlieren, schließt Argentinien neue Verträge mit dem IWF über Wirtschaftsreformen.

Auch Chile ist derzeit wegen des Verfalls der Kupferpreise knapp bei Kasse. Die Regierung sah sich daher gezwungen, ein Gesetz abzuschaffen, mit dem Kapitalflucht verhindert werden sollte. Dieses Gesetz sah hohe Steuern auf Unternehmensgewinne vor, wenn das investierte Geld weniger als ein Jahr im Land blieb. Doch nun muß die Regierung versuchen, mit allen Mitteln Geld ins Land zu locken, selbst wenn es nur kurzfristig investiert wird. Unterdessen ist in Argentinien der Wall-Street- Hai Georges Soros zum Medienstar avanciert, weil er nach wie vor Geld im Land investiert. Wenn es auch nur ein Prozent seines Vermögens ist.

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