: Schweine auf dem Silbertablett
Annemarie Seite ist Bürgermeisterin von Walow. Vehement kämpft sie für eine Schweinemastanlage. Und stört damit den Wahlkampf ihres Mannes Berndt, des CDU-Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern ■ Von Heike Haarhoff
Nur das Polizeiauto auf der anderen Straßenseite verrät, daß an der Ortsausfallstraße des beschaulichen 380-Seelen-Dorfes Walow im mecklenburgischen Müritz- Kreis prominente Menschen leben. So prominent, daß es sie rund um die Uhr zu schützen gilt vor Anschlägen von Staatsfeinden: Berndt Seite und seine Frau Annemarie wohnen hier. In einem unauffällig-bescheidenen und eher bieder wirkenden Einfamilienhaus mit Garten, von denen es in Walow viele gibt.
„Von Hause aus“, wie Annemarie Seite sagt, sind beide Tierärzte, üben den Beruf aber seit langem nicht mehr aus. Berndt Seite regiert als CDU-Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern, Annemarie Seite ist CDU-Bürgermeisterin von Walow. Eine recht beliebte immerhin.
„Alle Straßen im Dorf wurden erneuert“, schwärmt Wolfgang Rathsack, der einen kleinen Betrieb in Walow hat, „wir haben eine biologische Kläranlage, wir zahlen geringe Abwasser- und Anschlußgebühren, und es gibt Kindergärten“. Die Frau Bürgermeisterin habe „irgendwie immer gewußt, wo die Förderquellen sind“.
Doch dann kam die große Enttäuschung, „kurz vor Weihnachten war das“, erinnert sich Rathsack. Da wurde den Einwohnern der Gemeinde der Plan für eine gigantische Schweinemastanstalt für 10.000 Sauen präsentiert. Aseptische Qual-Tierställe von der Größe hatte es zuletzt zu DDR- Zeiten gegeben, und entsprechend groß war und ist die Empörung. Denn „so eine Schweinemastanstalt schafft keine Arbeitsplätze, die wird vollautomatisch betrieben“, klagt Wolfgang Rathsack.
Mit bis zu 2.000 Schweinen könne man ja noch leben – sofern diese auch in der Region geschlachtet würden. Aber 10.000? Nur Probleme bescherten die der Gemeinde: zusätzlichen Verkehr durch Futter- und Viehtransporte sowie Gülle en masse: „Und das alles auf dem Silbertablett der mecklenburgischen Seenplatte.“ Womöglich würden die über Jahre mühevoll angelockten Touristen gleich wieder angeekelt abreisen. Und die Ferkel, so wird im Dorf vermutet, kämen bestimmt aus Holland, wo auch der Investor für die Mastanstalt herkommen soll. Sie würden im Mecklenburgischen nur fettgefüttert, um anschließend quiekend nach Holland zum Schlachthof verfrachtet zu werden.
So nicht, dachte sich Wolfgang Rathsack und gründete mit seinem Kumpel Ulrich Müller eine Bürgerinitiative – mitten im Wahlkampf um die Landtagswahl am 27. September, den Annemarie Seites Mann Berndt als Direktkandidat im Müritz-Kreis eigentlich zu gewinnen glaubte. Bis Anfang September wurden 229 Protest- Unterschriften in Walow gesammelt: „Unterschrieben hat jeder. Jeder, der älter als 16 ist und schreiben kann“, sagt Müller. Ihnen allen sei es auch kein Trost, daß die Frau Bürgermeisterin bereit sei, die grunzende Schnitzelaufzuchtmaschinerie wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt genehmigen zu lassen.
„Schockiert“ sei sie über soviel Undankbarkeit. „Den Leuten hier geht es zu gut“, schimpft sie. Andere Dörfer wären froh um ein solches Projekt. Die Gülle sei auch „viel fester als zu DDR-Zeiten“. Stinken werde es also nicht. Zudem sei „jede Investition“ gut für die regionale Wirtschaft. Vier direkte Arbeitsplätze würden durch die Mastanstalt – Investitionsvolumen 2,5 Millionen Mark – geschaffen, jeder ziehe vier weitere nach sich.
„Waren Sie schon mal in Dänemark?“ fragt Annemarie Seite triumphierend. „Die haben viermal soviel Urlauber wie wir, aber sechsmal soviel Schweine.“ „Entsetzt“ seien auch „die Leute in den anderen Dörfern“ über das Verhalten der Walower. Deshalb ist Annemarie Seite entschlossen, das Projekt „durchzuziehen“. Nicht mal ihrem Mann zuliebe will sie von der Mastanstalt Abstand nehmen: „Das ist überhaupt nicht schädlich für den Wahlkampf meines Mannes. Ich bin Tierärztin, ich weiß, wovon ich spreche.“
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