piwik no script img

Kandidat wird Kanzler

■ Gerhard Schröder hat's geschafft. Zum dritten Mal seit 1949 wird ein Sozialdemokrat Bundeskanzler. Er stehe für Kontinuität, erklärte der gefeierte Schröder – was immer das heißen mag. Denn ob nun Rot-Grün oder Rot-Schwarz kommt, ließ Schröder offen

Um 18 Uhr lief die Digitaluhr vor der Wahlkampfzentrale der SPD ab. Sie zeigte null Tage, null Stunden und null Minuten bis zum Regierungswechsel. Soviel war im vorzeitig informierten Erich-Ollenhauer-Haus schon sicher: Der Regierungswechsel war geschafft. Gegen 19 Uhr trat der neue deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder vor etwa 5.000 Zuschauern auf die Bühne und sagte: „Nach 16 Jahren ist heute die Ära Kohl zu Ende gegangen.“

Schröder vergaß in diesen Minuten Parteichef Oskar Lafontaine nicht. Gemeinsam traten sie auf die Bühne, faßten sich an Händen und streckten sie in die Höhe. Auch jetzt in der Stunde des Sieges demonstrierten sie, daß sie gemeinsam den Sieg errungen hatten. Schröder, der Mann, der die breite Sympathie der Wähler für die SPD gewinnen konnte. Lafontaine, der die Partei geeint und damit die Grundlage für den Sieg gelegt hatte. Schröder machte aber keinen Hehl daraus, daß die SPD die Wahl dort gewonnen hat, wo er selbst die Partei hinhaben wollte: „Die SPD hat die neue Mitte zurückgewonnen“, sagt er gleich zu Anfang seines ersten Auftritts vor der Öffentlichkeit. „Das ist eine Verpflichtung für unsere Politik in den nächsten Jahren.“

Schröder machte drei Dinge für den Erfolg der SPD verantwortlich: „Das Programm war realistisch. Die Partei war ungewöhnlich geschlossen.“ Und, sagte er augenzwinckernd: „Der Kandidat hat, glaube ich, nicht geschadet – oder?“

Nachdem der Wahlsieger schon früh feststand, beschäftigte vor allem eine Frage die Gemüter: Reicht es für eine rot-grüne Mehrheit? Gegen 18.30 Uhr stiegen 26 Luftballons vom Ollenhauer-Haus in den Himmel. Sechzehn rote, zehn grüne. Da sah es so aus, als ob es für einen rot-grüne Koalition reichen würde. Die Menge jubelte. Aber richtige Leidenschaft hing nicht daran. Hauptsache die SPD stellt nach 16 Jahren wieder den Bundeskanzler. Und doch wurde über nichts anderes als über Rot- Grün geredet. Allein diese Frage blieb ja spannend. Wird die SPD selbst dann eine rot-grüne Regierung bilden wollen, wenn es nur eine knappe Mehrheit gibt? Ein, zwei Stimmen, hieß es vorher, würden nicht genügen. Schröder wolle dann lieber eine Große Koalition anstreben. Dabei macht es für die SPD aber einen Unterschied, ob die Mehrheit nur deshalb knapp ist, weil die PDS den Einzug in den Bundestag geschafft hat. Hauptsache, der Abstand zu Union und FDP ist deutlich. Wenn es für eine rot-grüne Mehrheit eng werden sollte, könnten ja im Einzelfall immer noch die PDS-Abgeordneten einspringen. Viele in der SPD sehen sogar einen Vorteil darin, nur eine knappe Mehrheit zu haben. Dann, so heißt es, spielten Gruppeninteressen nicht so eine große Rolle. Die Akteure seien gezwungen, sich eher zusammenzuraufen.

Knappe Mehrheiten, mit denen die SPD im Falle eines Zusammengehens mit den Bündnisgrünen zu regieren hätten, gäbe es nicht zum ersten Mal im Bundestag. Die beiden sozialdemokratischen Vorgänger Schröders, Willy Brandt (1969-1976) und Helmut Schmidt (1976-1982) regierten ebenfalls nur mit vier bzw. fünf Stimmen über der mindestens notwendigen Stimmenzahl von damals 249 Mandaten. Diese Mehrheit ergaben die Hochrechnungen gestern abend.

Schröder sagte gestern: „Dieses Land braucht eine stabile Regierung.“ Die demokratischen Parteien müßten miteinander koalitionsfähig bleiben. Eine Zusammenarbeit mit der PDS werde es aber nicht geben. Doch Signale für eine Große Koalition? Oder nur eine Absicherung, falls rechnerisch nichts anderes als eine Große Koalition in Frage kommt?

Es war wohl an in erster Linie an die Adresse der Grünen gerichtet, als er betonte: „Ich stehe für ökonomische Stabilität und Entwicklung, für innere Sicherheit, aber vor allem auch für außenpolitische Kontinuität.“ Am wichtigsten sei ihm, sagte Schröder, die Bekämpfung der Geißel Arbeitslosigkeit.

Aber erst sollte einmal gefeiert werden. „Ich kann es noch gar nicht glauben“, sagte ein SPDler in der Baracke. „Wir haben schon so oft verloren.“ Markus Franz, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen