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Die Geschichte fehlt

■ Der Mord an Minister Karry wurde nie geklärt. Ein gewisses Problem für das Dokudrama "Sechs Schüsse auf einen Minister" (23 Uhr, ARD)

Jetzt also auch Heinz Herbert Karry. Die Ermordung des früheren hessischen Wirtschaftsministers am Morgen des 11. Mai 1981 – daraus wurde nun auch der Stoff für ein TV-Dokudrama. Heinz Herbert Karry, Jahrgang 1920 und recht leutseliges FDP-Mitglied, starb durch die Kugeln, die Unbekannte durch das offene Schlafzimmerfenster abgegeben hatten.

Die Rahmenhandlung ist eine fiktive Geschichte. In ihr wird erzählt, wie ein in die Jahre gekommener Bundesanwalt (Jürgen Schornagel) eine jüngere Kollegin (Ulrike Folkerts) auf die Spuren des Falles ansetzt, der von der Bundesanwaltschaft bis heute nicht richtig aufgeklärt werden konnte. Nicht fiktiv sind die dagegengeschnittenen Interviews, die Leben und Leistung des Ermordeten umreißen sollen. Zu Wort kommen die FDP-Politiker Wolfgang Mischnick und Hans Dietrich Genscher, der später zur SPD gegangene Günther Verheugen und auch Ignatz Bubis.

Der jungen Staatsanwältin geht es am Anfang so, wie es auch vielen ZuschauerInnen gehen dürfte: Wer eigentlich war Heinz Herbert Karry, fragt sie sich, und warum mußte er sterben? Auch wenn im Wahlkampf der Fall noch einmal zur Sprache kam (einige CDUler und Focus unterstellten Grünen- Fraktionschef Joschka Fischer Verbindungen) – der Karry-Mord gehört doch eher zu den vergessenen Episoden der Zeitgeschichte.

Der Film zeichnet ein Persönlichkeitsbild, das einen Bogen vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die frühen achtziger Jahre schlägt: Es ist Geschichte eines erfolgreichen Geschäftemachers, der mit Petticoats und Spitzen erstes Geld verdiente, später vor allem als dubioser FDP-Parteispendensammler und gnadenloser Lobbyist für den Ausbau des Frankfurter Flughafens Furore machte.

Karry, das ist bekannt, wurde wahrscheinlich Opfer der Revolutionären Zellen. In einem anonymen Brief behauptete die Terrorgruppe, Karry aus Versehen getötet zu haben – dem „Türöffner des Kapitals“ hätte man nur in die Beine schießen wollen, „um ihn daran zu hindern, seine widerlichen und zerstörerischen Projekte weiterzuverfolgen“. Die Ermittler konnten aber bis heute nicht herausfinden, wer konkret der Täter war. Die Ermittlungen wurden im Februar 1986 eingestellt.

Abgeschlossene Untersuchung, Täter unbekannt, keine neuen Erkenntnisse – ein kleines Problem für ein Dokudrama, das den Anspruch erhebt, die Hintergründe eines spektakulären Mordes auszuleuchten. Regisseur Claus Strobel verlegt die vermutlichen Motive für Karrys Ermordung deshalb ins letzte Drittel. Um die Spannung zu halten, läßt er auch ein wenig arg gekünstelt seine beiden fiktiven Bundesanwaltschafts-Mitarbeiter die verschiedenen potentiellen Motive diskutieren. Und dann darf (oder muß) auch noch einer der Interviewten über die reichlich unwahrscheinliche Möglichkeit eines durchgedrehten Einbrechers als Mörder schwadronieren.

Einigermaßen informativ ist das Ganze dabei durchaus. Doch am Ende fehlt dem Dokudrama ebenso die Geschichte wie die Aussage, und es bleibt ihm, ein recht buntes Bild von Karry zusammenzuzimmern. Und das bewegt sich nicht über die mutmaßliche Vorgabe hinaus, man solle über einen Toten nicht zuviel Schlechtes sagen. Wolfgang Gast

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