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Urteil ohne Plädoyer?

■ Lotto-Mord: Staatsanwältin fordert lebenslänglich. Heute Urteilsverkündung

Im sogenannten „Lotto-Mord“-Prozeß ist es am Freitag zum Eklat gekommen. Verteidiger Bernd Rosenkranz weigerte sich am Nachmittag, gleich im Anschluß an die Ausführungen von Nebenklage und Staatsanwaltschaft sein Plädyoyer zu halten. „Es besteht überhaupt kein Grund zur Eile“, empörte er sich. Der Vorsitzende Richter Manfred Luckow setzte die Urteilverkündung daraufhin kurzerhand für heute mittag an – ohne Verteidigerplädoyer, falls Rosenkranz sich bis zu Verhandlungsbeginn nicht umentscheiden sollte.

Staatsanwältin Renate Just hatte zuvor lebenslange Haft für den Angeklagten gefordert. „Objektive Beweise gibt es zwar nicht“, gab sie zu. Dennoch hält sie den 27jährigen für schuldig, am 10. Dezember 1996 einen Lotto-Laden am Mundsburger Damm überfallen und Inhaber Helmut Hansen sowie seinen Schäferhund durch Messerstiche getötet zu haben. Dabei stützt sich die Anklagevertreterin auf drei Geständnisse, die der Münsteraner vor seiner Ex-Freundin, seiner Verlobten und einem späteren Zellengenossen abgelegt hat.

Doch diese Schilderungen stimmen mit dem Tatablauf nicht überein. So sagte der Ex-Junkie stets, daß er und sein Komplize die Flucht ergriffen hätten, weil Hansens Frau Gisela auf die Straße gelaufen sei. Das wird sowohl von ihr bestritten, als auch durch Zeugen widerlegt. Außerdem widersprechen sich die drei Geschichten: Seinen beiden Freundinnen hatte der ehemalige Obdachlose erzählt, er sei nur Mittäter gewesen und habe „nichts gemacht“. Vor dem Knacki hatte er geprahlt, er selbst sei der Messerstecher gewesen.

Ferner sprechen mehrere Indizien gegen die inzwischen widerrufenen Geständnisse. So will eine Zeugin gesehen haben, wie sich zwei kräftige Männer in einer Seitenstraße der Tatkleidung entledigten. Ihre Beschreibung paßt nicht auf den Angeklagten. Auch die verletzte Gisela Hansen beschrieb die Täter gegenüber einer Nachbarin als kräftig und gepflegt. Der Angeklagte dagegen ist dünn und war damals ungepflegt. Auch die diversen Blutspuren und Haarreste, die am Tatort gefunden wurden, stimmen nicht mit seinen überein. Dennoch geht Verteidiger Rosenkranz von einer Verurteilung aus: „Die Stadt braucht ihren Mörder.“

Kai von Appen

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