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Streik gegen Sparkurs bei vollen Staatskassen

■ Heute Generalstreik in Norwegen. Krone leidet trotz Ölbooms an akuter Finanzkrise

Oslo (taz) – Heute zwischen 14 und 16 Uhr steht Norwegen still. Nach dem Aufruf aller großen Gewerkschaften zum Generalstreik sollen keine Bahnen und Busse mehr fahren, LehrerInnen ihre SchülerInnen nach Hause schicken und Kaufhäuser, Fabriken und Supermärkte dichtmachen. Der Protest richtet sich gegen den Haushaltsplan der Regierung – konkret vor allem gegen die beabsichtigte Streichung eines Urlaubstags und ganz allgemein gegen die „Macht des internationalen Finanzkapitals“.

Auf die Finanzmärkte schiebt die Regierung des Christdemokraten Kjell Magne Bondevik nämlich das Paradox, zu massiven Einsparungen gezwungen zu sein, obwohl die Staatskasse einen satten Überschuß aufzuweisen hat. Nachdem Norwegen jahrelang als ölreicher Außenseiter ein ökonomischer Spitzenreiter in Westeuropa war, stehen die Zeichen seit einigen Monaten auf Gegenwind. Die Probleme sind weniger hausgemacht, sondern mehr von spekulationshungrigen Finanz- und Devisenmärkten, die das von ihnen vermutete Ende des allzu goldenen Ölzeitalters in Norwegen schon einmal vorwegnehmen wollen.

Ausgangspunkt der Spekulation ist der Ölpreis, der sich derzeit gegenüber dem Niveau im Herbst 1996 fast halbiert hat. Für Norwegens Staatskasse bringt der zwar trotzdem noch so viel, daß über 10 Milliarden Mark an Budgetüberschuß gespart werden können, doch die Finanzmärkte rechnen offenbar anders. Die Krone ist seit Frühjahr kräftig gegenüber Mark und Dollar gesunken, das einheimische Zinsniveau liegt dagegen 4 Prozent höher als der Europaschnitt. Die realen Lohnerhöhungen führen nach Meinung der Regierung zu einer „Überhitzung der Wirtschaft“ und zu einem „Mißtrauen in die Stärke der Währung“. Deshalb werden Steuern erhöht, die sozialen Abgaben und Urlaubsgeld gestrichen.

Das brachte das Faß bei den Gewerkschaften zum Überlaufen. Die Streichung des dreißigsten Urlaubstags ist für den Gewerkschaftsdachverband LO eine „Kriegserklärung“. Die LO verweist darauf, daß Norwegens ArbeitnehmerInnen mit ihren 30 Urlaubstagen sowieso zusammen mit Irland im Europavergleich am Ende liegen. Ihre KollegInnen in Schweden und Dänemark dürfen immerhin 36 Tage im Jahr faulenzen, die feiertagsliebenden Deutschen 41 Tage und die FinnInnen bringen es sogar auf 46,5 Tage. Die Regierung Bondevik muß einerseits erklären, was die Streichung eines Urlaubstags gegen sinkende Ölpreise und spekulierende Finanzmakler ausrichten soll, und warum im Budget 10 Milliarden Kronen gespart werden müssen, wenn gleichzeitig 53 Milliarden in der Sparbüchse landen. Außerdem hat sie auch noch ein Mehrheitsproblem. Sie kann sich nur auf ihre eigenen 42 – von insgesamt 165 – ParlamentarierInnen stützen. Ist Bondevik nicht bereit, zentrale Kritikpunkte am Budget zu kippen, wackelt seine Regierung. Und sein erstes Staatsbudget könnte auch das letzte gewesen sein. Reinhard Wolff

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