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Nur eine Minderheit sagte nein

Bundestag stimmte einer deutschen Beteiligung an einem möglichen Nato-Einsatz gegen Jugoslawien zu. Parlamentsversammlung tagte noch in alter Besetzung  ■ Aus Bonn Bettina Gaus

Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung verkündete Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer vor leeren Bänken. Fast alle Abgeordneten hatten den Plenarsaal bereits verlassen, als gestern mittag endgültig feststand, woran seit Tagen ohnehin nicht mehr zu zweifeln war: Mit überwältigender Mehrheit hat der Bundestag in Bonn gestern einer deutschen Beteiligung an einem möglichen Nato-Einsatz gegen Jugoslawien zugestimmt.

Viele Redner hatten zuvor betont, daß sie sich ihre Entscheidung nicht leichtgemacht hätten, einige auch Zweifel an der völkerrechtlichen Grundlage für einen Angriff erkennen lassen. Am Ende aber fielen für die meisten die Bündnistreue zur Nato und die Überzeugung, allein eine militärische Drohkulisse könne zu einer Lösung der Kosovo-Krise führen, schwerer ins Gewicht als alle Bedenken.

Die Parlamentarier hatten sich im Saal des alten Wasserwerkes versammelt – die Bestuhlung im Plenarsaal des Hauptgebäudes wird derzeit entsprechend den neuen Mehrheitsverhältnissen umgebaut. Gestern aber zählten noch einmal die alten Mehrheiten. Die Fraktionen hatten vereinbart, den scheidenden Bundestag für die Entscheidung zu einer letzten Sondersitzung zusammenzurufen, da sich der neue noch nicht konstituiert habe.

Nicht alle Abgeordneten halten das für rechtens. „Hier verhandelt ein abgewählter Bundestag“, rief Gregor Gysi von der PDS in den Plenarsaal. So sieht das auch Burkhard Hirsch (FDP), der dem neuen Parlament nicht mehr angehören wird. Der scheidende Bundestag entspreche in seiner Zusammensetzung „nicht mehr dem Wählerwillen“, nachdem das amtliche Endergebnis der Bundestagswahlen vorliege: „Ich bin der Meinung, daß der 13. Bundestag diese Entscheidung nicht mehr treffen kann und sollte.“

Er hat sie getroffen. Die Minderheit derjenigen, die Widerspruch angemeldet hatten, konnte sich nicht durchsetzen. So waren gestern seltsam vertraute Bilder zu sehen: Auf der Regierungsbank nahm Helmut Kohl noch einmal den Platz des Regierungschefs ein, direkt neben ihm Außenminister Klaus Kinkel. Auch Verteidigungsminister Volker Rühe, Arbeitsminister Norbert Blüm, Innenminister Manfred Kanther und Familienministerin Claudia Nolte saßen in der ersten Reihe. Rita Süssmuth eröffnete zum letzten Mal als Bundestagspräsidentin eine Sitzung des Parlaments.

Und dennoch war es nicht wie sonst. Älter und irgendwie kleiner als früher sah Helmut Kohl gestern aus. Der scheidende Regierungschef verfolgte die Debatte fast regungslos, die Hände im Schoß verschränkt. Kein Aktenstudium, keine kurzen Gespräche. Bei der Rede seines Nachfolgers Gerhard Schröder, der noch einmal als niedersächsischer Ministerpräsident von der Bundesratsbank aus ans Rednerpult trat, waren die Mundwinkel des Kanzlers tief herabgezogen. Sonst verzog er keine Miene.

Ungewohnt war auch der rücksichtsvolle Umgang, den fast alle Redner gestern über Parteigrenzen hinweg miteinander pflegten. Der designierte Außenminister Joschka Fischer von Bündnis 90/Die Grünen dankte Kinkel und dessen Mitarbeitern für die vertrauensvolle Zusammenarbeit „in jeder Phase“. Ähnlich äußerte sich Gerhard Schröder: „Die Bundesregierung hatte völlig unbestritten das Recht, allein zu handeln. Daß wir es zusammen getan haben, ist, glaube ich, ein Zuwachs an demokratischer Kultur.“

Um die demokratische Kultur alleine ging es dabei allerdings nicht. Im Vordergrund stand erkennbar bei den Spitzenpolitikern der parteiübergreifende Wunsch, eine gemeinsame deutsche Haltung in außen- und sicherheitspolitischen Fragen zu demonstrieren. „Deutschland hat in dieser Woche gezeigt: Es ist voll handlungsfähig“, sagte Verteidigungsminister Volker Rühe. Er wies nachdrücklich darauf hin, daß ein Einsatz deutscher Streitkräfte trotz des Kosovo-Abkommens „keinesfalls ausgeschlossen werden“ könne. Das müßten alle Abgeordneten bei der Stimmabgabe bedenken. Im Ernstfall stünde die Bundeswehr vor ihrem bisher „gefährlichsten Einsatz“.

Im Mittelpunkt der Debatte stand allerdings gestern weniger die mögliche Gefahr als vielmehr die Frage, ob die Rechtsgrundlagen für die Anwendung militärischer Gewalt ausreichen. Als einzige Partei hat sich dagegen die PDS ausgesprochen. Der Nato- Beschluß ohne entsprechendes UNO-Mandat sei „natürlich eine Selbstmandatierung“, erklärte Gregor Gysi. Schon allein die Androhung von Gewalt widerspreche der UN-Charta. So werde die Weltordnung verändert, „und zwar die völkerrechtliche Weltordnung“.

Außenminister Klaus Kinkel, der lange zu den Kritikern eines Nato-Einsatzes ohne ausdrückliches Mandat gehört hatte, machte dagegen deutlich, daß er inzwischen zu einer anderen Ansicht gekommen ist: „Ich habe es mir selbst auch nicht einfach gemacht. Ich glaube aber, daß nach eingehender Prüfung der Weg rechtlich vertretbar ist.“ Gleichzeitig betonte er jedoch: „Der Beschluß der Nato darf nicht zum Präzedenzfall werden, und wir dürfen nicht auf die schiefe Bahn kommen, was das Gewaltmonopol des Weltsicherheitsrates angeht.“

Für „unverzichtbar“ erklärten auch Gerhard Schröder und Joschka Fischer dieses Gewaltmonopol. Dennoch halten beide den Nato-Beschluß für rechtlich abgesichert und warben daher um Zustimmung für den Antrag der alten Regierung. Nur noch eine Minderheit bei SPD und Bündnis 90/Die Grünen sah das gestern anders. Den Parlamentariern beider Fraktionen war die Entscheidung ausdrücklich freigestellt worden.

Joschka Fischer betonte die Notwendigkeit, jetzt eine politische Lösung für die Krise im Kosovo zu finden: „Ich bin sehr froh, wenn es zu einer erfolgreichen Umsetzung dieses Abkommens kommt.“ Sein Parteifreund Ludger Volmer hingegen erklärte, aus seiner Sicht sei das Fehlen eines Sicherheitsratsbeschlusses nicht durch andere Rechtskonstruktionen zu ersetzen. Er werde dem Antrag nicht zustimmen.

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