: KGB-Nachfolger gegen Umweltschützer
Prozeßauftakt gegen den Ex-Marineoffizier Alexander Nikitin. Weitergabe von Informationen über atomare Verseuchung durch die russische Nordmeerflotte sei Hochverrat ■ Von Barbara Kerneck und Reinhard Wolff
Moskau/St. Petersburg (taz) – Wenn heute Alexander Nikitin in St. Petersburg vor Gericht steht, wird der Verhandlungssaal wohl bis zum letzten Platz gefüllt sein. Der ehemalige Marineoffizier, der inzwischen so etwas wie das Symbol der russischen Umweltbewegung ist, ist des Hochverrats angeklagt. Obwohl darauf in Rußland bis zu 20 Jahre Haft und im Extremfall sogar die Todesstrafe stehen, hat Nikitin nie einen Gedanken darauf verschwendet zu fliehen. Dann „hätten viele Menschen gedacht, daß ich doch irgendwie schuldig bin“, sagt er.
Der russische Sicherheitsdienst FSB (ehemals KGB) bezichtigt ihn, der norwegischen Umweltschutzorganisation Bellona geheime Dokumente über die Verschmutzung des nördlichen Eismeeres mit atomaren Abfällen geliefert zu haben. Die Aktivisten von Bellona halten dagegen, Nikitin habe nur bereits veröffentlichte Berichte zusammengefaßt.
Drei Jahre lang hat der FSB daran gearbeitet, eine Anklage gegen Nikitin auf die Beine zu stellen. Die Anklage fußt zum großen Teil auf geheimen Dekreten, denen vom Verteidigungsministerium teilweise rückwirkende Wirkung eingeräumt wurde. So geheim sind diese, daß sie sogar dem Richter verheimlicht wurden. Der setzte nun dem FSB eine Frist, ihm die Dekrete bekannt zu machen; andernfalls würde er den Termin platzen lassen. Zum Fristablauf am vergangenen Donnerstag wurden ihm die Dokumente ausgehändigt.
Nikitin werden sie allerdings nach wie vor vorenthalten, so daß er im unklaren darüber bleibt, wofür er eigentlich 1996 verhaftet und über zehn Monate lang ohne Verfahren im Gefängnis gehalten wurde. „Sie sind keine Figur vom Range eines Andrej Sacharow“, habe man ihm damals bei den permanenten nächtlichen Verhören im Gefängnis entgegengeschleudert. „Selbst wenn es 10.000 Leute Ihres Schlages gäbe, könnten die nicht das System zerbrechen.“
Doch in jedem Fall widerspricht das Verfahren gegen ihn der russischen Verfassung. Die fordert im Gegenteil, Amtspersonen zur Verantwortung zu ziehen, falls sie der Öffentlichkeit „Umstände verschweigen, die eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen bilden“.
Nikitin residiert heute in einem weiß möblierten Büro in St. Petersburg. Es gehört dem Internationalen Advokatenkollegium, das ihn verteidigt. Hier hat er an einem weiteren Bellona-Bericht gearbeitet und beschäftigt sich, wie er es nennt, „mit dem Fall, in den ich hineingeraten bin“.
Nikitin quittierte den Dienst bei der Armee mit vierzig Jahren freiwillig. Eigentlich sei er mehr Ingenieur als Offizier gewesen, berichtet er, ein hochausgebildeter Spezialist für den Transport von kerntechnischen Anlagen. Er ging, weil er nicht mehr glaubte, die Sicherheit in seinem Verantwortungsbereich garantieren zu können. Als ihn dann die Leute von Bellona zu seiner Meinung über ihren ersten Bericht befragten, fühlte er sich in seiner Einschätzung bestätigt.
Es ist seinen Verfolgern nicht gelungen, diesen Mann zu zerbrechen. Aber der langwierige Kampf hat in ihm auch keinen heroischen Trotz geweckt. „Aber wenn meine Gegner vor Gericht verspielen, können sie immer noch gegen mich gewinnen“, befürchtet er: „Indem sie mich in einen Autounfall verwickeln oder mir in der Sauna ein Köfferchen mit Narkotika unterschieben.“
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