piwik no script img

Die Farbe des Herbstes

Zum ersten Mal treffen sich die Überlebenden des KZ Auschwitz III. Für sie paart sich die Freude des Wiedersehens mit der Erinnerung an den Horror von einst  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

Sehnsüchtig blickt er den grauen Wolken hinterher, die an diesem Nachmittag über Frankfurt davonziehen: „Ich hasse den blauen Himmel.“ Davon hat er seit über 40 Jahren in Tel Aviv mehr als genug gehabt: „Ich liebe es, durch das raschelnde Laub zu gehen.“ Herbst in Deutschland ist für viele Überlebende von Auschwitz die Farbe der Erinnerung, der Geruch der verlorenen Heimat. Zum ersten weltweiten Treffen der ehemaligen Häftlinge des Konzentrationslagers Auschwitz III, des Lagers Buna/Monowitz, sind rund hundert Männer und Frauen gekommen.

Sie trafen sich im Zentrum der Macht ihrer einstigen Peiniger, im ehemaligen Hauptverwaltungssitz der I.G. Farbenindustrie AG zur Eröffnung einer Ausstellung, die die Vernichtung durch Arbeit, das Leiden und Sterben von 1941 bis 1945, dokumentiert.

David Salz war einer der jüngsten Buna-Häftlinge. Er wurde im März 1943 deportiert. Der 13jährige kräftige Berliner Junge suchte seine verschwundene Mutter und hatte sich, um in den Erwachsenentransport zu kommen, vier Jahre älter und zum Elektriker gemacht. Handwerker müsse man sein, um zu überleben, hatte er gehört. Die Lüge, die ihn nach Auschwitz gebracht hatte, machte er später zur Wahrheit. In Israel ist er Elektriker geworden: „Ich hatte einen Schwur getan.“

Heute gehört Salz zum Komitee ehemaliger Buna-Häftlinge, das das Treffen zusammen mit dem Fritz Bauer Institut organisierte. Ferenc Lowasz ist einer der wenigen, die die Kippa tragen. Er steht lange vor jeder einzelnen Bildtafel, liest und schaut. Auch er war noch ein Junge, als er aus seiner ungarischen Heimatstadt Nagykanizsa nach Auschwitz deportiert wurde. Er arbeitete im Schlosserkommando. Über 45 Jahre hat er nicht mehr Deutsch gesprochen: „In Auschwitz habe ich sogar deutsch geträumt.“ Die Grammatik, „der, die, das...“, ist ihm eingebleut worden: „Der Dolmetscher war ein Kabel.“ Und: „In Auschwitz habe ich gelernt, daß ich Jude bin. Das werde ich nie vergessen.“ 650 Jahre hatte seine Familie in Ungarn gelebt. Beim Treffen ist er der einzige aus Osteuropa angereiste Teilnehmer. Mit ihm endet die ungarische Familiengeschichte, sein Sohn lebt in Israel.

Lowasz blättert in der Namensliste der ausgemusterten, arbeitsuntauglich gewordenen Menschen, die auf Drängen der I.G. Farben vom SS-Personal täglich selektiert und in die Gaskammern von Birkenau geschickt wurden, und findet vier, fünf, sechs Namen, „alle aus meiner Schule“. Die, die nach Frankfurt gekommen sind, wollen Zeugnis ablegen, solange ihnen noch Zeit bleibt.

Imo Moszkowicz sprach in der Eröffnungsveranstaltung über die Ambivalenz zwischen Wiedersehensfreude und schmerzlicher Erinnerung: „In eure Augen sehend, versuche ich nach über einem halben Jahrhundert, eure jetzigen Umrisse in jene zu transponieren, die ihr damals, im gestreiften Drillich, gewesen wart.“ Erinnern, das war auch heftiger Disput und authentische Korrektur der Ausstellung. Kalender für die Rekonstruktion von Daten und Ereignissen sind die auf den Armen eintätowierten, sechsstelligen Häftlingsnummern: „Du hast 116..., ich 105... Das muß also zwei Monate später gewesen sein.“ Und manches, sagt Lowasz, ist „einfach Blödsinn“. Er kennt den Tag seiner Tätowierung. Die Ungarn seien schon im Mai 1944 nach Auschwitz gebracht worden, nicht erst im Dezember. Der Israeli Jacob Silberstein findet „Arbeitslager“ für Buna/Monowitz verharmlosend. Ein amerikanischer Freund klärt die Begriffe: „Buna was called Arbeitslager. Birkenau was the Vernichtungslager.“

Die Überlebenden forderten in Frankfurt als wenigstens symbolische Anerkennung ihrer Leiden endlich eine Entschädigung von den Rechtsnachfolgern der aufgelösten I.G. Faben. Die Chemiekonzerne Bayer und BASF, so Hanno Loewy, Direktor des Fritz Bauer Instituts, hätten allerdings auf Bitten zur Unterstützung der Veranstaltung nicht einmal geantwortet. Das Komitee wandte sich auch gegen die geplante, enthistorisierende Umbenennung des I.G.- Farben-Hochhauses in „Poelzig Ensemble“ nach dem Architekten der Bauten, Hans Poelzig. Bei der Fertigstellung 1931 galt es als avantgardistisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen