: Das Geflüster der Gene
Die Bestie Mann hat nichts anderes im Sinn, als sich und seine Gene zu reproduzieren. Und zwar nur seine. Die Unterdrückung der Frau ist die natürliche Folge – egal in welcher Kultur. Eine Polemik ■ Von Bas Kast
In fundamentalistischen Regionen des Morgenlandes hat sich ein Sieg breitgemacht: der der Männermoral über die Frau. Die Moral gibt sich gottgewollt. Es ist aber eine sehr menschliche, die in vielen ihrer Facetten den Sieg einer männlichen Reproduktionsstrategie über die Frau reflektiert: den Sieg eines durch scham- und hemmungslosen Genegoismus gesteuerten Mannes.
Nur ein Ignorant könnte andererseits behaupten, die Gewalt des Mannes – und die von ihm geprägte Moral – über die Frau hätte es im Abendland nie gegeben. Ebenso klar ist, daß es eine von Männern dominierte, doppelte Moral in mehr oder weniger moderater Form auch bei uns immer noch gibt. Der Blick auf das Morgenland kann also nicht den beruhigenden Eindruck erwecken, daß wir es dort mit Verhaltensweisen zu tun haben, von denen Mann hier völlig frei ist. Es handelt sich nicht um den unterhaltsamen Familienausflug in den Zoo, in dem man, während man sein Popcorn verdrückt, exotische Exemplare bestaunen kann, die mit der eigenen Art nur noch wenig zu tun haben, im Gegenteil. Der Blick auf bestimmte Orte des Orients ist nicht zuletzt deshalb interessant, weil er Verhaltensweisen offen darlegt, die tendenziell jedem Mann anhaften, weil seine Gene sie ihm zuflüstern.
Schwer zu sagen, warum gerade im islamischen Fundamentalismus der männliche Genegoismus so deutlich hervortritt, fast ist man versucht zu sagen: so nackt. Doch das wäre zynisch: Im Morgenland gibt es Frauen, die kein Stückchen ihrer nackten Haut zeigen dürfen, ohne daraufhin mit grausamen „Gottesstrafen“ geahndet zu werden. Aber gerade Phänomene, wie die – aus vermeintlich frommen Gründen – vorgeschriebene Verschleierung, entschleiern die wahren Motive der Männermoral.
Warum müssen sich Frauen in dem von den Taliban beherrschten Afghanistan vollständig verschleiern? Warum werden Ehebrecherinnen öffentlich gesteinigt? Was ist der Grund dafür, daß die Frau fast vollständig aus der Öffentlichkeit gedrängt wird? Warum muß das Bettlaken blutig sein in der muslimischen Hochzeitsnacht? Warum gilt die Jungfernschaft als das höchste weibliche Heiligtum? „Verrückte Fundamentalisten! Chauvinisten! Paschas! Araber! Hinterweltler! Kameltreiber ...“, so die Antwort des Klischees. Die Ratio verweist – den Kulturwissenschaften beflissentlich ergeben – auf die lange Tradition, der diese Moral und die damit verknüpften Verhaltensweisen verpflichtet sind.
Beide Erklärungen sind schwach auf der Brust. Daß ein Macho ein Macho ist, ist keine Erklärung, es ist eine Tautologie. Und der Verweis auf die lange Tradition, so interessant und lange diese auch sein mag, schickt das Problem in den endlosen Regreß: Auf die Frage, wie sich denn die Tradition erkläre, wird einem vermutlich die Tradition der Tradition vorgehalten.
Ich habe nie verstanden, warum die Kulturwissenschaften es nicht zur Kenntnis nehmen, daß der Mensch nicht nur ein Kultur-, sondern auch ein biologisches Wesen ist. Das ist ein Jammer, denn die Motive der Moral entspringen der Biologie. Die Ursprünge der Kultur liegen in der Natur. Die Soziobiologie betrachtet den Menschen – wie alle anderen sich genetisch fortpflanzenden Organismen – als Genvehikel, das von seinen Genen dazu gebaut wurde, deren Reproduktion zu maximieren. Während sich die Gene über die Generationen fortpflanzen, sterben ihre Vehikel, also wir, gewissermaßen ihre Wegwerfidioten.
Tun unsere Gene ihre Arbeit nicht gut, programmieren sie uns so, daß Wesen aus uns werden, die gar keine Lust auf Kinder haben, katapultieren sie sich selbst aus den Genpool. Gene, die Organismen bauen, die nicht wenigstens ab und zu an sie denken, überleben immer nur eine Generation: sie sterben mit dem Individuum.
Nun gibt es für die Gene eines sich sexuell fortpflanzenden Organismus ein lästiges Problem: dieser braucht zur Reproduktion seiner Gene einen Partner. Beide, Frau wie Mann, sind also darauf aus, ihre Gene zu kopieren – aber sie benötigen den jeweils anderen als Mittel zu diesem Zweck (für diejenigen, die diese ewige Strapaze satt haben, eine frohe Botschaft: die Gentechnik ist bekanntlich dabei, das Problem endgültig aus dem Weg zu räumen).
Hier liegt der Ursprung für den Krieg der Geschlechter – und aus diesem Krieg hat der Mann den Sieg davongetragen. Während er innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Frauen befruchten kann, kann die Frau höchstens einmal im Jahr ihre Gene kopieren. Die Frau kann dafür den Zeitpunkt ihres Eisprungs geheimhalten. Das, was ein Schimpansenmännchen so deutlich sehen und riechen kann, nämlich wann ein Weibchen im Östrus ist: das funktioniert beim Menschen nicht. Damit aber hat sich die Frau ihr eigenes Grab gegraben. Die Antwort des Mannes auf den Verbergungstrick der Frau lautet nämlich: eine Frau (oder mehrere) monopolisieren und abschirmen vor den anderen Männern, so nämlich, daß diese „seine“ Frau keine Chance mehr hat, mit der Konkurrenz zu kopulieren. Nur so kann er sicher sein, daß die Kinder, die sie bekommt, auch wirklich seine Kinder – sprich seine Genträger – sind. Und nur dann lohnt es sich für ihn, Frau und Kind zu unterstützen, sich also in parental investment zu üben.
Damit sind wir beim Kernpunkt: Der größte genetische Alptraum eines jeden Mannes ist es, in fremde Gene zu investieren. Die Angst vor der Fremdbefruchtung führt zu den grausamsten Maßnahmen und direkt zu den anfangs formulierten Fragen. Die Sehnsucht des Mannes nach der Frau, die nur mit ihm und sonst niemand geschlafen hat (Stichwort: Jungfrau), schläft (Stichwort: Treue) und – bis über seinen Tod hinaus! – schlafen wird (Stichwort: Witwenverbrennung), ist Ausdruck eines Genegoismus, der genau weiß, was er will: seine und nur seine Gene kopieren. Vor diesem Hintergrund bekommt das obligatorische Blut auf dem Bettlaken, dieses fixe Verlangen nach Virginität, Keuschheit, „Unschuld“ und absoluter Treue einen soziobiologischen Sinn.
Am sichersten ist es, die Frau einzusperren. Da aber das Wegsperren aus praktischen Gründen nicht immer funktioniert, soll, wenn schon Öffentlichkeit, das heißt wenn schon Konfrontation mit fremden Männern, wenigstens der verführerische Körper versteckt werden, und zwar möglichst vollständig.
Die Burka, der Ganzkörperschleier mit vergitterten Augenschlitzen, dient bekanntlich nicht dem Schutz vor Kälte, der Bequemlichkeit oder gar Ästhetik. Sie hat nur eins im Sinn: die paranoide Psyche des Mannes, die durch seinen Genegoismus induziert wird, zu beruhigen. Höhepunkt der moralischen Heuchelei ist die religiöse Rechtfertigung dieser Grausamkeiten.
Und die deutsche Frau und Partnerin? „Nein Schatzilein, ich sehe es wirklich nicht gerne, wenn Du alleine in Ferien fährst ...“ Auch bei uns gilt nach wie vor der Don Juan als „Draufgänger“, als „Weiberheld“, als cooler „Ladykiller“, während umgekehrt die Frau, die hemmungslos hinter Männern her ist, verächtlich als „Hure“ bezeichnet wird.
Ein krasseres Beispiel sind afrikanische Stämme, die bei jungen Frauen Klitorektomien vornehmen. Die Klitoris wird von ihnen als „dreckig“ oder „verhextes Teil“ bezeichnet, dabei ist die Strategie klar kalkuliert: eine Frau, die am Sex kein Vergnügen mehr empfindet, ist eine treue Frau, ist eine Frau, wie sie sich Männergene träumen. Die Fundamentalisten – wir haben es geahnt. Waren sie uns nicht schon immer verdächtig? Und diese afrikanischen Buschmänner ... Ja gut, wir haben auch unsere Fehler – das ist schmerzlich. Aber wie wohltuend ist es doch zu wissen, daß die Bestie, die der Genegoismus bei diesen fernen Frauenfolterern hervorkehrt, bei uns im großen und ganzen gebändigt ist ...
Man sollte sich nicht täuschen lassen: Etwa die Hälfte aller Morde des Mannes an der Frau geschehen hierzulande aus Eifersucht. Was aber ist Eifersucht?
Vielleicht ist es ja gestattet – ganz vorsichtig, versteht sich, und natürlich ausnahmsweise –, die Eifersucht des Mannes einmal zu sehen als eine Form der Angst vor der Fremdbefruchtung „seiner“ Frau? Nein? Zu weit hergeholt? Zu biologistisch? Na gut, es war ja auch nur eine Frage.
Und was ist mit den vielen Vergewaltigungen, die es hier jedes Jahr gibt, und von denen auch junge, „unberührte“ Mädchen nicht verschont bleiben?
Vergewaltigung als Reproduktionsstrategie? Aber das würde ja heißen, daß sich die Neigung zur Vergewaltigung prinzipiell nicht auf ein paar Verrückte, die wir wegsperren und beschimpfen können, beschränken würde. Das würde heißen: Die Bestie steckt tendenziell in jedem Mann.
Was bedarf der Mensch zur „Menschlichkeit“? Wieviel oder wie wenig würde es wohl brauchen, die schlafende Bestie in mir zu wecken? Gene sind, auch wenn hier auf sie fokussiert wurde, nicht alles. Der Mensch besteht nicht nur aus Kultur, ebensowenig besteht er nur aus Genen. Das zeigen ja auch die unterschiedlichen Kulturen: genetisch unterscheiden sich die Menschen, die diese verschiedenen Kulturen geschaffen haben, kaum. Die Gene diktieren unser Verhalten nicht. Aber sie flüstern unüberhörbar.
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