: Die Industrie täuscht die Öffentlichkeit
■ Rezension: Der Klima-Gau. Ein Sachbuch über Erdöl und Macht in der Weltpolitik
Im April platzte die Bombe. Der Ölkonzern Shell tritt aus der Industrie-Lobbygruppe „Global Climate Coalition“ (GCC) aus, die in den USA und auf internationalem Parkett gegen Klimaschutz- Maßnahmen kämpft. Die GCC, die nach eigenen Angaben mehr als 230.000 US-Firmen sowie internationale Energie-, Auto-, Chemie- und Luftfahrtkonzerne vertritt, hält die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Treibhauseffekt für nicht ausreichend bewiesen, um Gegenmaßnahmen einzuleiten. Shell steht neuerdings zum Kyoto-Protokoll und sieht auch für die Industrie große Chancen besonders beim weltweiten Ausbau der erneuerbaren Energien. Im August meldete die Presseagentur AP: „Heißester Juli der Geschichte“. DPA-Meldung im Juli: „Südkorea ertrinkt in sintflutartigen Regenfällen.“ AP-Meldung Mitte August: „140 Millionen Menschen von Flut in China betroffen.“ Für den amerikanischen Publizisten Ross Gelbspan haben diese Wetterextreme ein und die selbe Ursache: Es sind Reaktionen der Natur auf die beginnende Aufheizung der Erdatmosphäre.
Kann ein Sachbuch über den Klima-Gau so spannend sein wie ein Roman von Ken Follett? Die Antwort liegt auf 248 Seiten vor. In erschreckender Weise liefert Gelbspan die Belege dafür, wie vor allem die großen Kohle- und Erdölgesellschaften seit langem eine Kampagne der Desinformation und Informationsunterdrückung mit Hilfe einer handvoll Wissenschaftler, insbesondere der Global Climate Coalition, weltweit steuern. Das einzige Ziel der Täuschungsmanöver: Eine öffentliche Diskussion zum Thema Klimawandel soll verhindert werden. Kohle und Erdöl, so weist der ehemalige Herausgeber des Boston Globe nach, haben sich in den letzten Jahrzehnten „unfreiwillig selbst zur gefährlichsten aller Massenvernichtungswaffen gewandelt“. Und genau deshalb geben beide Branchen Millionen dafür aus, der Öffentlichkeit einzureden, daß es keine globale Erwärmung gibt. Anschaulich ruft Gelbspan zum Widerstand gegen die Verschleierungsstrategie vor allem der Erdölindustrie auf. Doch der Autor liefert auch konkrete Antworten darauf, wie der Klima-Gau noch verhindert werden kann, wenn schnell gehandelt wird. Die weltweite Verbreitung sanfter Energien könnte am Anfang der Problemlösung stehen. Gelbspan plädiert für ein Sofortprogramm, ein energiepolitisches „Manhattan Project“. Eine riesige Denkfabrik, bestehend aus Industriebossen, Ingenieuren, Regierungsvertretern und Energieexperten sollte entscheiden, welche erneuerbaren, klimafreundlichen Energien für welche Zwecke und Regionen am besten geeignet sind. Ganz pragmatisch sein Vorschlag: „Die Werbebranche setzt ihr ganzes kreatives Potential nutzbringend ein, die weltweite Akzeptanz erneuerbarer Energien zu fördern.“ Ross Gelbspans Buch liefert klare Antworten darauf, weshalb die fossile Lobby auch weiterhin alles daran setzen wird, den Klimawandel abzustreiten. Es geht um Milliarden Profite, die den Konzernen verlorengehen, wenn sich Gelbspans sanfte Energiewende doch noch politisch durchsetzen sollte. Sein Plädoyer: „Würde man die Steuererleichterungen und Subventionen umschichten auf die kommerzielle Nutzung von Windparks, auf die Energieversorgung von Gebäuden durch Brennstoffzellen und Photovoltaik-Anlagen sowie auf Kraftwerke mit Wasserstoffenergietechnik, dann würden mit dieser Initialzündung die erneuerbaren Energien in die Weltliga der Branche katapultiert.“ Michael Franken
Ross Gelbspan: „Der Klima-Gau, Erdöl, Macht und Politik“, 248 Seiten. Gerling Akademie Verlag, ISBN 3-932425-05-7, 56 DM
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