: Raus aus der Nato - sofort, vielleicht, später
■ Passend zu seiner Amtseinführung hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, ein umfassendes Buch über die Außenpolitik der Grünen, vom Kampf gegen den Nato-Doppelbeschluß bis z
#Politisches BuchMontag, 16. November 1998
Raus aus der Nato – sofort, vielleicht, später Passend zu seiner Amtseinführung hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, ein umfassendes Buch über die Außenpolitik der Grünen, vom Kampf gegen den Nato-Doppelbeschluß bis zur Teilnahme am Nato-Außenministerrat, vorgelegt
Von Ludwig Watzal
Besser hätte der Grünen-Politiker Ludger Volmer die Veröffentlichung seiner umfassenden Studie zur Außenpolitik der Grünen nicht terminieren können. Vier Wochen nachdem es auf den Markt kam, wurde der Autor unter Joschka Fischer Staatsminister im Bundesaußenministerium. Jetzt gilt es, seine im Buch formulierten Grundsätze grüner Außenpolitik unter den obwaltenden machtpolitischen Gegebenheiten umzusetzen.
Volmers Anspruch, ein Buch zu schreiben, „das von den Älteren als Rechenschaftsbericht, von den Jüngeren als Geschichtsbuch und von der Wissenschaft als Nachschlagewerk gelesen werden kann“, ist mehr als eingelöst. Sein Buch ist in der Tat ein Novum. Es beschreibt und erklärt nicht nur grüne Außenpolitik, sondern liefert auch eine Ideen- und Gründungsgeschichte der grünen Partei, die sich ja wesentlich aus Protestströmungen gegen die vorherrschende Außen- und Innenpolitik formiert hat. Zu Beginn, so schreibt Volmer, war nicht klar, „ob die neue Partei einen eher autoritär-konservativen oder links- radikalen Charakter tragen würde“. Die Extreme bildeten die vom CDU-Dissidenten Herbert Gruhl angeführte „Grüne Aktion Zukunft“ und der „Kommunistische Bund“. Dazwischen tummelten sich die diversen K-Gruppen, sogenannte neue und undogmatische Linke, Basisgruppen, DKP- Dissidenten, frustrierte linksliberale FDPler, enttäuschte Linke aus der SPD und linke Christen. Dieser Heterogenität war ein Spaltpilz inhärent. So kam es im Laufe der achtziger Jahre zu einem innerparteilichen Klärungsprozeß. Trotz zahlreicher Querelen habe Außenpolitik von Anfang an die Partei bewegt und die Grünen hätten versucht, Außenpolitik zu bewegen, so eine These des Autors. Antikolonialistisches, antiimperialistisches und undogmatisches Denken paarte sich mit der Anti-Atomkraft-Bewegung, dem Widerstand gegen den Nato-Doppelbeschluß und dem Einsatz für Menschenrechte. Noch bis vor nicht allzu langer Zeit wurden grüne Forderungen wie „Austritt aus der Nato“, „Abschaffung der Bundeswehr“, „antiwestliche Grundhaltung“ mit dem Untergang des Abendlandes gleichgesetzt. Diese Parolen entlarvt Volmer als Rhetorik. Somit erfüllt sein Buch eine wichtige Korrektivfunktion. „Die Absage an Nationalismus und Sonderwege, erklärter Gewaltverzicht, die Pflege der transatlantischen Beziehungen, die europäische Integration, die Einbindung in den Westen und der Brückenschlag nach Osten, Multilateralismus und freiwilliger Machtverzicht sind für die Partei so selbstverständlich, daß sie deren Gültigkeit nicht ständig betont.“ Ist dies nicht ein konsensfähiges Fundament grüner Außenpolitik?
Alle außenpolitischen Grundsätze der Bundesrepublik werden hier brav heruntergebetet. Für die Durchsetzung grüner Politik gibt es nach Volmer zwei Maßstäbe: einen absoluten und einen relativen. Als Pragmatiker befürwortet der Autor letzteren. Obwohl Volmer im Schlußkapitel noch vor einer stromlinienförmigen Anpassung der Grünen warnt, scheint dies mit seiner Amtsübernahme perdu zu sein. Oder?
Das Buch gliedert sich in vier Teile: Erstens: Von der Bewegung zur Partei. Hier zeigt der Autor, über welche sozialen Prozesse und an welchen Ideen und Grundhaltungen sich grüne Außenpolitik orientierte. Der singuläre Aspekt der Raketenstationierung erwies sich langfristig als zu dürftig, so daß sich die Grünen gezwungen sahen, zu allen relevanten Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik Stellung zu beziehen.
Zweitens: Vom Protest zum Konzept. In dieser historischen Phase konstituierte sich nicht nur die Partei, sondern trat sie auch mit zahlreichen theoretischen und praktischen Initiativen an die Öffentlichkeit, die von der „etablierten“ Außenpolitik regelmäßig als utopisch abqualifiziert wurden. Letztendlich gelang es, Gründungsideen und -mythen in Strategiepapiere zu transformieren. Dies machte einerseits den Charme der Grünen aus, andererseits führte es aber zu einer völligen Zerrissenheit der Partei, die sich in Dogmatismus und Beliebigkeit manifestierte.
Drittens: Von der Opposition zur Regierungspartei. Perspektiven. Jeder dieser Teile gliedert sich in zahlreiche Kapitel und Unterpunkte. Ein über 40seitiges Literaturverzeichnis zeigt dem Leser, wie schwergewichtig das Opus ist. Material hat Volmer genügend bewältigt. Das Verzeichnis grüner Quellen macht einen lückenlosen Eindruck. Die Wertschätzung des Autors Volmer für den Politiker Volmer läßt sich am Personenregister ablesen. War es tatsächlich notwendig, sich die meisten Namensnennungen im Register zuzuweisen? Selbst weitaus gewichtigere Politiker werden auf die Plätze verwiesen. Auch einige grüne „KollegInnen“ bekommen ihr Fett weg. Kontroversen werden personalisiert.
Der Autor selbst zählt sich zum politisch-pazifistischen Flügel der Partei. Daneben gibt es den real- und den radikalpolitischen. Diese Begriffe bedeuten im Lichte der Regierungsübernahme nur noch für die Vertreter der reinen Lehre etwas.
Mit der Übernahme von Regierungsverantwortung sollte es mit der oftmals egozentrischen Nabelschau der Partei wenigstens in der Außenpolitik vorbei sein. Es geht fortan um die Handlungsfähigkeit des Staates und nicht um grüne Beschlußfähigkeit. Erst mit dem Jugoslawien-Konflikt schlug sich die Realität im grünen Bewußtsein nieder. Weil die Realos dem Massaker auf dem Balkan auch mit Waffengewalt ein Ende bereiten wollten, wurden sie als „Bellizisten“ beschimpft. Volmer als Internationalist befürwortet eine Stärkung der UNO und der OSZE. Die Vereinten Nationen werden aber augenblicklich von den USA demontiert und instrumentalisiert. Die OSZE sollte nach Volmers Ansicht zum Synonym für eine „europäische Friedenserhaltung“ werden. Der Zustand und der Einfluß beider Organisationen geben jedoch zu Zweifeln Anlaß.
Volmers Buch kam zum richtigen Zeitpunkt. Wer in Zukunft etwas über grüne Außenpolitik erfahren will, muß sich mit den Thesen des Autors auseinandersetzen. Ein überaus kluges Buch. Wissenschaftlich und politisch ist es ein Gewinn. Es zeigt, daß in der grünen Partei außenpolitische Kompetenz versammelt ist. Die grünen Regierungsmitglieder und die grüne Partei müssen auf der Hut sein, daß der Regierungsalltag nicht alle grünen Prinzipien bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Ludger Volmer: „Die Grünen und die Außenpolitik – ein schwieriges Verhältnis. Eine Ideen-, Programm- und Ereignisgeschichte grüner Außenpolitik“. Westfälisches Dampfboot, Münster 1998, 649 Seiten, 68 DM
Mit der Regierungsübernahme sollte
es mit der Nabelschau vorbei sein
Arsenal der innerparteilichen Auseinandersetzung um Kampfeinsätze 1995 Foto: Jörg Sarbach
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