Kommentar: Schily walsert
■ Der Innenminister hält Migranten vor allem für ein Problem
Niemand wird Otto Schily unterstellen, er sei kein politischer Kopf. Wer als RAF- Anwalt die Fahndungshysterie am eigenen Leib erfahren hat, wer als Oppositionsabgeordneter die Schaffung von Feindbildern zu Wahlkampfzwecken kennengelernt hat, der weiß, daß gerade komplizierte Politikfelder anfällig sind für kollektive Ängste. Man kann die angespannte Atmosphäre mit Gesten, Symbolen oder auch mit Gesetzen „entschärfen“, man kann sie auch aber auch „verminen“ mit Äußerungen wie dieser: „Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten.“
„Belastbarkeit“, „überschritten“ – Innenminister Otto Schily hat ausgerechnet diese Begriffe gewählt, die altbekannte Denkschablonen seiner Vorgänger verlängern: Einwanderer sind erstens eine Last, und zweitens sind sie schon jetzt zu viele. In der logischen Konsequenz dieser Worte wäre es nur allzu verständlich, sich diese Bürde vom Leib zu schaffen, es wäre legitim zu fordern: Ausländer raus!
Otto Schily ist kein Ausländerfeind und auch kein Otto Kanther. Er weiß um die Bedeutung von Integration, er steht für das neue Staatsbürgerschaftsrecht als Reform von „historischen Dimensionen“. Aber er möchte die Türen fest verrammeln zum schmucken Mehrfamilienhaus Deutschland. Kein Einwanderungsgesetz, keine Neudefinition des eingeengten Asylbegriffs, kein Nachdenken, ob wir nicht allein aus demographischen Gründen weitere Zuwanderung brauchen.
Über den Sinn eines Einwanderungsgesetzes, bei dem sich die Parteien derzeit vielleicht doch nur auf eine Null-Zuwanderungsquote verständigen können, kann man streiten. Aber wie will ein Innenminister nach diesen Äußerungen den Bürgern erklären, daß trotzdem weiterhin Menschen kommen, die Anspruch auf menschenwürdige Behandlung haben? Mit welchen Worten will Otto Schily Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge, Studenten oder Geschäftsleute vor denen schützen, die sie als „unzumutbare Grenzüberschreiter“ verprügeln und jagen?
Schily hat auch vor Rechtsradikalen gewarnt, die gestrauchelten Jugendlichen eine „emotionale Heimat“ böten. Wenn Schily weiter so „walsert“, gerät er bald in die Rolle des Schirmherrn dieser „emotional“ Heimatvertriebenen. Die Grenze der Zumutbarkeit hat er mit seiner Äußerung bereits jetzt überschritten. Vera Gaserow Bericht Seite 4
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