: Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Rainder Steenblock kämpft nicht nur gegen die Folgen der Havarie der Pallas. Klar ist jetzt, daß er trotz rechtzeitiger Kenntnis vom drohenden Ausmaß der Katastrophe versäumt hat, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Aus Kiel Heike Haarhoff
Energischer Verzicht auf jegliche Hilfe
Wütend blickte Rainder Steenblock bei Nieselregen und windiger Kälte auf die Nordsee. Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) hatte ihn, den grünen Umweltminister Schleswig-Holsteins, soeben schlicht stehengelassen. War einfach abgedampft – in einem Polizeiboot in Richtung Amrum, um die Löscharbeiten des vor der Nordseeinsel gestrandeten und brennenden Holzfrachters „Pallas“ zu besichtigen. An Bord mit Landeschefin Simonis: ein nordfriesischer Landrat sowie ein Kamerateam. Wer fehlte, war allein Steenblock, der Mann, der qua Ministeramt oberster Manager der Schiffs- und Ölkatastrophe ist, die seit dreieinhalb Wochen das Wattenmeer bedroht. Steenblock mußte ein eigenes Boot chartern, um den Havaristen aus der Nähe zu betrachten.
Das war am vergangenen Wochenende. Ein unschöner Vorfall, sicher, den man unter normalen Umständen aber kaum als Krise der rot-grünen Koalition in Kiel werten würde. Doch sind die Umstände in Schleswig-Holstein alles andere als normal. Zwar ist die Pallas trotz anderslautender Befürchtungen bislang nicht auseinandergebrochen. Zwar sind mittlerweile die Ölsperren ausgelegt und die meisten Schwelbrände gelöscht.
Die Koalition steckt wegen der Pannen in der Krise
Gestern mittag traf zudem die sehnlichst erwartete Hubinsel „Barbara“ ein, die die verbliebenen 560 Tonnen Schweröl an Bord des Schiffswracks ab heute abpumpen soll. Dennoch stecken SPD und Grüne wegen der zahlreichen Pannen in den Tagen und Wochen nach der Havarie und wegen der glücklosen Versuche, den Frachter abzuschleppen und die zigtausend verölten Vögel vor den Küsten der Nordseeinseln Amrum, Föhr und Sylt vor dem Tod zu retten, in einer tiefen Regierungskrise.
Steenblock beklagt sich inzwischen öffentlich über den „schlechten Stil“ seiner Chefin und der SPD insgesamt. Anstatt sachlich zu diskutieren, betrieben die Sozialdemokraten Demontage einzelner Personen, beschwerte der 50jährige sich erst vorgestern. Womit der Umweltminister in erster Linie sich selbst gemeint haben dürfte, ist er es doch „satt“, dauernd „öffentlich madig“ und „zum Sündenbock gemacht“ zu werden. Er solle doch erst mal „zwei Tage ausschlafen“, schoß Simonis spitz wie gewohnt zurück.
„Das Kabinett Simonis ist verbraucht“, merkt der CDU-Landesvorsitzende Peter Kurt Würzbach mit Genugtuung an. Die Anzeichen verdichten sich unterdessen, daß Steenblock, der seit 1996 im Amt ist, die Krise von Anfang an weder im Griff hatte noch das Ausmaß der drohenden Ölkatastrophe richtig einschätzte. Mehrere Angebote des Innenministeriums, den dort existierenden Krisenstab in Anspruch zu nehmen, schlug der Umweltminister störrisch aus. Dreimal, genauer gesagt am 30.Oktober, am 6.November und am 9.November, mußten Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) bzw. seine Mitarbeiter bei Steenblock antanzen und diesem die Vorzüge der Krisenzentrale schmackhaft machen, bevor Steenblock am 10. November einwilligte – mehr als zwei Wochen, nachdem die Pallas vor der dänischen Küste westlich von Esbjerg in Brand geraten war.
Warum? Fürchtete Steenblock eine Beschneidung seiner Kompetenz als Umweltminister? Wollte er dem Kabinett beweisen, daß er alles im Griff habe und auf Hilfe von außen verzichten könne? Steenblock bestreitet das. Ja, mehr noch: Gegenüber der taz dementierte er in einem Interview am vergangenen Wochenende, daß es Ende Oktober bereits erste Gespräche über den Einsatz des Krisenstabs mit dem Innenministerium gegeben habe. „Ende Oktober ist natürlich völliger Käse“, sagte er. Und: „Da trieb das Schiff noch auf hoher See.“ Tatsächlich aber war die Pallas zu diesem Zeitpunkt bereits in die Flachgewässer vor Amrum gedriftet. Das ist sogar in der Unglückschronik seiner eigenen Behörde vermerkt, die Steenblock offenbar schlecht gelesen hat.
Falsche Rettungsmethoden zum falschen Zeitpunkt
Auch seine Behauptung, „die Gespräche mit dem Innenministerium hat es erst Anfang dieser Woche gegeben“, entbehrt, gelinde ausgedrückt, jeglicher realistischer Zeiteinschätzung. Bereits am 29.Oktober, das bestätigte gestern der Sprecher des Kieler Innenministeriums auf Nachfrage, hatte der Innen-Staatsrat Hartmut Wegener während einer Kabinettssitzung auf die Gefahr eines Auseinanderbrechens der Pallas und die möglicherweise zu befürchtende Umweltkatastrophe hingewiesen. An der Sitzung hatten sowohl Steenblock als auch Simonis teilgenommen.
Unklar ist, weshalb Steenblock trotz dieser Kenntnis nicht energisch gegen weitere Abschleppversuche wetterte, die die Einsatzleitgruppe der Küstenländer und des Bundes (ELG) in Cuxhaven, in der der Minister vertreten war, befürwortete. Bis wenige Stunden vor dem Riß im Schiffsrumpf am 7. November wurden Schleppversuche durchgeführt. „Das Unglück hätte vielleicht vermieden werden können“, glaubt Michael Blanke von der Internationalen Transport Föderation (ITF) in Bremen, wenn erstens unmittelbar nach dem Unglück ein zugkräftiger Hochseeschlepper eingesetzt worden wäre. Oder aber später, als sich die Rißgefahr abzeichnete, nicht mehr unnötig und wie wild an dem vor Amrum gestrandeten Schiff geruckelt und gewerkelt worden wäre.
Untätigkeit kann man insofern Steenblock schwerlich vorwerfen, wohl aber den Anschein, daß er offenbar mehrfach auf die falschen Rettungsmethoden zum falschen Zeitpunkt setzte. „Ich habe nie auf den falschen Schlepper gesetzt“, hält Steenblock trotzig dagegen.
Trittin: Verkehrsverbote auf der Nordsee
Der World Wide Fund for Nature (WWF) hat inzwischen Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Vogelsterben und Meeresverschmutzung gestellt. Rund 4.000 Vögel sind bereits qualvoll in dem Ölteppich gestorben, mindestens 20.000 weitere sind verölt. WWF und Küstenbewohner haben als Konsequenz aus der Katastrophe ein neues Notfallkonzept für die Deutsche Bucht, einen der am meisten befahrenen Seewege Europas, gefordert. Die schleswig-holsteinische Landesregierung setzt sich auch dafür ein. Außerdem, so der WWF, seien langfristig leistungsstarke Schlepperkapazitäten entlang der Tankerrouten durch Nord- und Ostsee zu sichern.
Der grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin ist unterdessen seinem Parteikollegen Steenblock zur Seite gesprungen und hat sich für Verkehrsverbote auf der Nordsee ausgesprochen. Ölkatastrophen im Wattenmeer seien nur dann in den Griff zu bekommen, „wenn die Ausflaggerei und das Fahren von Billigschiffen auf dem faktischen Binnenmeer Nordsee unterbunden wird“, forderte Trittin.
Wie er das umsetzen will, steht in den Sternen. Auch deutsche Reeder lassen, um Lohnkosten zu sparen, ihre Schiffe zunehmend unter der Flagge von Billiglohnländern fahren, wo die Sicherheitsbedingungen schlecht sind und es keine Seegerichtsbarkeit gibt. Kommt es zum Unfall, sind die Möglichkeiten der Bestrafung oder Haftbarmachung äußerst begrenzt. Tausende solcher Schiffe fahren tagtäglich unter diesen Bedingungen über die Weltmeere. Die Pallas war eins von ihnen.
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