: Eiszeit unter Christenmenschen
In Harare tagt die Weltkirchenkonferenz. Streit ist programmiert – um Homosexualität, aber auch um ein modernes oder stocktraditionelles Glaubensverständnis von Christen. Ein Vorbericht ■ von Uwe Birnstein
Schwarzgewandete Patriarchen, kreuzgeschmückte Schwule und afrikanische Christen in Stammestracht: Sind sie es vor allem, die vom 3. Dezember an in Harare die Weltkirchenkonferenz prägen werden? Und wenn ja: Welches Medium ließe sich Schlagzeilen wie „Heiden, Homos, Kirchenkampf“ entgehen? Viele Journalisten werden allein deshalb diese Fünftausendkilometer-Dienstreise auf sich nehmen.
In der Hauptstadt Simbabwes tagt vom 3. bis 14. Dezember der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK), der Zusammenschluß aller christlichen Kirchen außerhalb des katholischen Klerus. 980 Delegierte der 330 Mitgliedskirchen werden anreisen, um das fünfzigjährige Jubiläum der Organisation zu feiern. „Kehrt um zu Gott – seid fröhlich in Hoffnung“ ist das Leitwort dieser achten Vollversammlung des ÖRK seit dessen Gründung 1948.
Hoffnung auf einen reibungslosen Verlauf der Versammlung gibt es jedoch wenig. Und fröhlich blicken nur jene dem Treffen entgegen, die Konfliktmanagement in der Praxis erproben möchten. Sie werden sich mit Fragen auseinandersetzen müssen: Wie soll man mit ökumenisch gesinnten Mitchristen der orthodoxen Kirche umgehen, die sich weigern, mit Christen anderer Konfessionen Gottesdienst zu feiern? Mit denen, die vor fünfzig Jahren feierlich gelobten: „Wir wollen beieinander bleiben und zusammenwachsen“?
Halten sich alle Delegierten der 26 orthodoxen Kirchen an die Beschlüsse ihrer Patriarchen, wird die Jubiläumsversammlung überschattet sein von Uneinigkeit, Verfahrenskniffen, Taktierereien und Angst vor dem Zerbrechen der Ökumene. Möglich, daß die orthodoxen Delegierten geschlossen abreisen werden, ohne sich den wichtigen Themen des Konvents gewidmet zu haben – der Forderung nach einem Schuldenerlaß für die ärmsten Entwicklungsländer beispielsweise.
Die Gründe für die ökumenische Skepsis, besser: Verweigerung der Orthodoxen sind so komplex, daß sich jede Schwarzweißmalerei verbietet. Das Gemisch aus nationalen Rücksichtnahmen, konservativen Moralvorstellungen, innerorthodoxen Machtkämpfen und ökumenischen Enttäuschungen ist kaum zu durchleuchten.
Mitnichten jedenfalls sind es die Patriarchen, die die Ökumene eigenmächtig torpedieren. Tatsächlich werden die geistlichen Oberhäupter der orthodoxen Kirchen oft zu Spielbällen kirchenpolitischer Machtkämpfe in ihrer Heimat degradiert. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat zwar Meinungs- und Religionsfreiheit nach Osteuropa gebracht. Doch gerade diese Freiheit auch im Glaubensverständnis bringt die Kirchenbasis in die Bredouille.
Christlich-fundamentalistische Missionare haben in Osteuropa neues Terrain für aggressive Missionsfeldzüge entdeckt. Das Monopol der orthodoxen Kirche, in kommunistischen Zeiten unangetastet, wankt. Nicht zuletzt die Medien spülen Informationen in die Weiten der ehemaligen Sowjetunion. Es sind Nachrichten aus einer Welt, die auf viele Gläubige schockierend wirken: Frauen als Priesterinnen, Homosexuelle in der Kirche...
Kein Wunder, daß Berichte über die Teilnahme orthodoxer Patriarchen an der Ökumene zu Widerstand in den Gemeinden führen. Geschürt wird die antiökumenische Stimmung durch Videobänder – etwa von der siebten Vollversammlung des ÖRK 1991 in Canberra, als die südkoreanische Theologin Chung Hyun Kyung christlichen Glauben mit dem Ahnenkult ihrer Heimat verband.
Osteuropäische Christen empfanden dies als Gotteslästerung. Aus einer klösterlichen Gebetsgemeinschaft im russischen Karelien hieß es drohend: „Wenn unsere Erzhirten und Hirten die kostbare Perle des gottgeoffenbarten orthodoxen Glaubens vor die Schweinefüße der Konzelebration mit Häretikern werfen, wenn sie auch teilhaben an dem satanisch-freimaurerischen Weltkirchenrat, so wird ihre geistliche Herde gezwungen sein, sich von den Wölfen im Schafspelz – den Ökumenisten und Latinisierenden – abzugrenzen und sich ungeheuchelte wahre Hirten zu suchen.“
Um dem Zorn der Kirchenbasis zu entgehen, ließen sich die Patriarchen auf Kompromisse ein. Nun werden sie in Harare zugegen sein, dürfen dort aber nicht an „ökumenischen Gottesdiensten, gemeinsamen Gebeten und anderen religiösen Zeremonien“ teilnehmen. Ihre Angst ist nachvollziehbar: Sie wollen nicht in ihren Medien als Teilnehmer von Zeremonien vorkommen, die die heimische Kirchenbasis als heidnisch deuten könnte.
So steckt der Ökumenische Rat in einem Dilemma: Natürlich sind die Kompromisse ökumenefeindlich, gewiß müssen sie als Affront gegen die Mitgliedskirchen verstanden werden. Doch mit jeder Forderung nach mehr Ökumene würde der ÖRK den reaktionären Kräften in den Ländern der Orthodoxie in die Hände spielen – und den ökumenischen Faden erst recht zerschneiden.
Ein weiteres Thema, das die Patriarchen in die Ecke drängt, ist das der Homosexualität. Dabei steht eine Diskussion um sie gar nicht auf der Tagesordnung der Vollversammlung. Am Rande wird Homosexualität dennoch ein Thema sein: auf dem „Padare“, einer Art „Markt der Möglichkeiten“ in afrikanischer Tradition.
In Simbabwe meint „Padare“ den Ort in einem Dorf, wo Probleme vor die Gemeinschaft gebracht und im offenen Dialog und gegenseitigen Respekt ein Konsensus angestrebt wird. Der ÖRK hat damit die Kritik einiger Delegierter der letzten Vollversammlungen aufgenommen, die ihre Belange in den Plenarversammlungen nicht vorbringen konnten. Ohne Entscheidungsdruck im Dialog mit anderen den eigenen Standpunkt zu erläutern – das ist der Sinn des Padare. Natürlich steht er deshalb auch allen christlichen Gruppen offen. Daß sich auch homosexuell bekennende Christen wie das „Europäische Forum lesbischer und schwuler Christen“ angemeldet haben, ist kein Wunder. Zum einen wird das Thema in vielen Kirchen diskutiert, vor allem in Westeuropa und Nordamerika. Zum anderen gehört das gastgebende Simbabwe zu jenen Staaten der Erde, in denen Homosexuelle am unnachgiebigsten diskriminiert, sogar verfolgt werden. Simbabwes Präsident Robert Mugabe rühmt sich gar seiner Homofeindschaft. Unter dem Schutz des ÖRK gerade hier für die Gleichberechtigung Homosexueller einzutreten, empfinden viele Christen als moralische Pflicht.
Mit dem Entschluß, das Thema Homosexualität statt auf die Tagesordnung in die Nische des „Padare“ zu schieben, erntet der ÖRK auch Kritik. Die Lutherische Kirche der Niederlande wird deshalb nicht an der Vollversammlung teilnehmen. „Wir meinen, daß der ÖRK, der so oft für die Menschenrechte eingetreten ist, jetzt auch für die Rechte von Homosexuellen eintreten müßte“, klagt der niederländische Synodenpräsident Kees van der Horst.
Auch die Orthodoxen sind mit der „Padare“-Lösung nur bedingt zufrieden. Zwar können sie sich vor ihren heimatlichen Hardlinern mit der Feststellung rechtfertigen, Homosexualität sei kein offizielles Thema gewesen. Dennoch haben sie Angst vor denkbaren Szenen wie dieser: Schwule und lesbische Christen nutzen die Gunst der Stunde und stürmen während eines ökumenischen Gottesdienstes den Altarraum, um ihr Anliegen vor laufenden TV-Kameras zu vertreten. Diese Bilder gingen um die Welt; die Patriarchen könnten die kochende orthodoxe Volksseele nicht wieder zum Abkühlen bringen, obwohl sie sich schon vor sieben Jahren in ÖRK-Gremien gegen „die Rechte sexueller Minderheiten“ ausgesprochen haben.
ÖRK-Generalsekretär Konrad Raiser reagiert scharf, wird er auf dieses Problem angesprochen. „Homosexualität oder andere Fragen moralischer Bewertung dürfen kein Grund sein, die ökumenische Gemeinschaft aufzukündigen“, mahnt er, „das hielte ich für eine Perversion des Grundverständnisses von Gemeinschaft der Kirchen innerhalb des ÖRK.“
Selbst wenn es nicht zu offenem Streit kommt, kündigt sich in der Ökumene eine Eiszeit an. Träten die Orthodoxen tatsächlich aus, würde der Ökumenische Weltkirchenrat zum anglikanisch-protestantischen Weltbund herabgestuft. Seinem Anspruch, die Stimme des Evangeliums in der Welt zu Gehör zu bringen, würde er kaum mehr gerecht werden können. Würden die Orthodoxen unter Vorbehalten weiterarbeiten, müßte der ÖRK sich an die von den Orthodoxen geforderte „radikale Umstrukturierung“ heranmachen. Eine Folge davon könnte ein Funktionswandel vom freien Zusammenschluß der weltoffenen Christenheit hin zum interkonfessionellen Theologenverein sein.
Drohend schwebt auch die Vorstellung über dem ÖRK, daß sich Orthodoxe und der Vatikan annähern. Im Blick auf den tausendsten Jahrestag der Kirchenspaltung im Jahr 2054 könnten sie zusammenfinden. „Der Dialog zwischen der römisch- katholischen und der orthodoxen Kirche durchlebt momentan eine schwierige Phase, aber er ist der Dialog, der die meisten Aussichten hat“, schwärmt etwa der österreichische Metropolit Erzbischof Michael Staikos – womit er zugleich betont, daß im Ökumenischen Rat Orthodoxe seiner Meinung nach „keine Rolle spielen“.
Uwe Birnstein, 36, ist Theologe und lebt im Weserbergland. Als Journalist arbeitet er für den NDR.
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