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Ein Prozeß hinter verschlossenen Türen

■ In Hamburg beginnt Verfahren gegen zwei Jugendliche, die Kioskbesitzer erstochen haben

Hamburg (taz) – Daß der Prozeß hinter verschlossenen Türen geführt wird, empört die Journalisten: „Das Stigma der brutalen Mörder haben die doch sowieso schon.“ Doch genau deswegen ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen, wenn ab heute über die beiden Jugendlichen verhandelt wird, die Ende Juni im Hamburger Stadtteil Tonndorf den Lebensmittelhändler Willy Dabelstein erstachen.

Damals waren Christian L. und Patrick E. noch 16 Jahre alt. Damit fallen sie unter das Jugendgerichtsgesetz, und das zielt laut Gerichtssprecherin Sabine Westphalen darauf ab, „erzieherisch auf Jugendliche einzuwirken“ – was vor Zuschauern kaum möglich wäre, weil diese die Angeklagten einschüchtern oder zur Prahlerei veranlassen könnten. Nicht einmal das Urteil darf öffentlich werden, denn „das tragen sie dann ein Leben lang mit sich herum“. Christian L. und Patrick E. drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Am 29. Juni waren sie zur Mittagszeit in den Tante-Emma-Laden gekommen. Vor der Polizei gestanden sie später, daß sie verabredet hatten, Geld zu klauen und den Ladenbesitzer, sollte er sich wehren, „abzustechen“. Während der eine die 220 Mark aus der Kasse nahm, stach der andere mit dem Messer zu. Neben den beiden Mördern sitzt für die breite Öffentlichkeit die gesamte Hamburger Jugendpolitik mit auf der Anklagebank. Christian L. und Patrick E. hatten nur wenige Straßen von Dabelsteins Laden entfernt in einer Einrichtung für straffällige Jugendliche gewohnt, die vor der Untersuchungshaft verschont werden sollen. Die Tür stand ihnen dort offen – obwohl sich der Lebenslauf der beiden wie eine Irrfahrt quer durch das Strafgesetzbuch liest.

Prompt folgte der Tat der Ruf schockierter Anwohner nach der Einführung geschlossener Heime für straffällige Jugendliche. Ein Hamburger Rechtsanwalt stellte Strafantrag wegen fahrlässiger Tötung gegen die Richter, die Christian L. und Patrick E. aus der Haft entlassen hatten. Dem Ruf nach geschlossenen Heimen ist der rot- grüne Hamburger Senat zwar nicht gefolgt. Als Konsequenz aus dem Mord änderte er jedoch das Betreuungskonzept für straffällige Jugendliche. Die Villa in Tonndorf, in der Christian L. und Patrick E. gelebt hatten, wurde geschlossen. Anfang November hat der „Landesbetrieb Erziehung und Berufsbildung (LEB)“ eine neue Einrichtung in Bergedorf eröffnet, eine zweite soll bald folgen: Dort werden die straffälligen Jugendlichen zusammen mit anderen untergebracht, die als besonders betreuungsbedürftig gelten. Rund um die Uhr sind Pädagogen anwesend, einen Schlüssel bekommen die, die dort wohnen, nicht.

Die Jugendkammer des Landgerichtes berät darüber, in diesem Fall eine Ausnahme zuzulassen und nach Abschluß des Verfahrens gegen Christian L. und Patrick E. das Urteil bekanntzugeben, weil das ohnehin durchsickern wird – und nach offizieller Bekanntgabe wenigstens begründet werden kann. Elke Spanner

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