: Das Ende der Hippie-Zeit
Nobel-Hotel und Versicherungskonzern sponsern überfälligen Formschnitt für hundert Kugelkopf-Linden an der Alster ■ Von Gernot Knödler
Dreißig Jahre nach '68 ist für hundert Linden in der Straße An der Alster die Hippie-Zeit zu Ende. Spätestens ab Montag kommender Woche bekommen die wild wuchernden Baumkronen an der Nebenfahrbahn zwischen Holzdamm und Gurlitt-Straße einen vernünftigen Formschnitt verpaßt. Hatte die öffentliche Hand in Gestalt des Bezirksamtes Mitte lange Jahre geglaubt, ihr Geld anderswo sinnvoller ausgeben zu können, sind es jetzt private Sponsoren, die das wilde Gewuschel vor ihren Fassaden nicht mehr mit ansehen konnten.
„Es wurde ganz schön duster bei uns“, klagt Susanne Semmroth, Pressesprecherin des Hotels Atlantic. Die großen Bäume zu beiden Seiten der Straße lassen kaum mehr Licht in die Hotelzimmer sowie in die Mietwohnungen und Büros des benachbarten Gebäudeblocks der Volksfürsorge. Erschwerend kommt hinzu, daß der Afro-Look der Linden mit dem bezeichenden Beinamen „Kugelkopf“ die Sicht auf die Alster verdeckt.
Wie Volksfürsorge-Pressesprecher Wolfgang Otte berichtet, wurden deshalb die Mieter unzufrieden, die Firma wandte sich an den Bezirk, der die Hosentaschen umstülpte und schließlich ward ein spezieller Fall von „Grün-Sponsoring“ geboren: Nobel-Hotel und Versicherungskonzern spendieren 150 Mark pro Linde für den Formschnitt, ein privater Baum-Barbier erhält den Auftrag und die Gartenbauabteilung des Bezirksamtes Mitte führt die fachliche Aufsicht.
Den Hippie-Linden droht jetzt das Schicksal der Platanen auf dem Rathausmarkt: Die werden jedes Jahr auf eine adrette Kastenform gebracht – ein „Gestaltungselement“, wie Gerd Baum von der Gartenbauabteilung sagt. Auch die Linden An der Alster sollen künftig alle zwei Jahre unter die Säge kommen, das haben die Sponsoren unverbindlich versprochen.
Nun ist es nicht so, daß das Bezirksamt in den vergangenen Jahren zugelassen hätte, daß die Kugelköpfe zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit werden: „Das Nötigste haben wir immer schon getan“, versichert Bezirksamtssprecherin Claudia Eggert. Bei Gefahr im Verzug, etwa wenn ein morscher Ast abzubrechen drohte, oder ein Verkehrsschild zugewuchert war, schickte die Verwaltung ihre Arbeiter los.
Wann die Linden an der Außenalster allerdings zum bisher letzten Mal der Radikalkur eines Formschnittes unterzogen wurden, weiß so ganz genau niemand mehr. Und in der Gartenbauabteilung ist von denen, die sich damals als Barbiere betätigten, keiner mehr übrig: Sie sind inzwischen alle pensioniert.
Es muß wohl irgendwann in der Hippie-Zeit gewesen sein ...
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