: Kreuzigung der Chartshits
■ „Gott und Sohn“ verhackstücken alles zwischen „Woman in black“ und „Wonderwall“. Gottesdienst ist umsonst am Samstag in der Weberstraße 44
Neulich, bei „Gott & Sohn“. Kommen wir gleich zu DER theologischen Kernfrage seit den Zeiten der Scholastik: Wer ist Gott? Wer ist Sohn? „Da unterscheiden wir nicht.“ Aha. Eine heilige Zweifaltigkeit also. Dies hat unbestreitbare Vorteile. Zum Beispiel müssen sich die zwei Kulturwissenschaftsstudenten Jan und Dirk niemals darüber in die Haare kriegen , wer sich als plattgequetschte Oblate vernaschen läßt. Natürlich beide. Aber auch ganz generell gilt: Gott und Sohn streiten sich nicht. Nicht einmal über die Qualität von Jim Morrisons „Light my fire“: Jan vergöttert die „Doors“. Dirk dagegen weiß aus seinen nun schon zweieinhalbjährigen Erfahrungen als Gotteshälfte, daß die Hölle dort sein muß, wo Jim Morrison Musik macht. „Du bist nur neidisch auf Morrisons Stimme.“ – „Ich beneide nur Johnny Cash. Aber wer täte das nicht.“ Trotzdem covern „Gott & Sohn“ „Light my fire“ mit einer Inbrunst, bis sich die Stimmbänder überschlagen. Manchmal röchelnsie wie ein überdrehter Motor, manchmal piepsen sie wie ein mutterloses Küken. Heilige Einfaltigkeit herrscht darüber, daß man alles covern kann: das, was man liebt, und das, was man haßt.
Dirk liebt zum Beispiel die Düsternis Nick Caves, die Leichtigkeit Elvis Costellos, Leonard Cohen und eben Übergott Johnny Cash. Soviel zum Buchstaben C. Wahrscheinlich könnte er alle anderen Buchstaben genauso konträr besetzen. Jan mag Yello, Pearl Jam, Charles Mingues oder die Lounge Lizzards und möchte endlich sein Himmelswölkchen verlassen, um im Paradies mit dem PJ Harvey-Gitarristen spielen zu können. In diesen göttlichen Vorlieben und Abneigungen steckt ebenso wenig System wie Vorurteil. Zeitgeist oder Oldies, Mainstream oder Independent, Spaß oder Pathos, Hartes oder Weiches: Überall kann man fündig werden. Nur Hippietum verachten die beiden als Harmoniegetue: Da können die nix für. Das ist eben die klassische Verblendung der Generation der 27jährigen.
Als postmoderne Jäger und Sammler residieren „Gott & Sohn“ mitten zwischen Stapeln von CD's, Schallplatten, Alack-Sinner-Comics und Romanen von Paul Auster und Bret Easton Ellis. Und so covern sie George Michaels „Face“ ebenso wie Uriah Heeps „Woman in Black“. „Zwei Akkorde und ein Ah-ha-ha-ha-ha bis in alle Ewigkeit. Das nenn' ich Größe.“ Oder sie plündern ein „Songbook“, das irgendwelche durchgeknallten Skilehrer für die Abendunterhaltung ihrer Schülertruppe zusammengestellt haben. Denn wie die Münchener „Freiwillige Selbstkontrolle“ um Thomas Meinecke lautet Gottes Evangelium, daß auch im kulturellen Abseits herrliche Schätze vergraben liegen. Aber Gott & Sohn wagen natürlich auch eigene Schöpfungen. Auf einem Videodokument sieht diese Genesis so aus: Die Heiligkeit thront auf der Kloschlüssel und singt den Schimmel an der Wand an. Dieser Schimmelsong taucht hinab in die „ozeanischen Verbindungen“ der Abwasserkanalisation – Gott sei Dank nur textlich. Echt mitzuerleben ist hingegen auf diesem Video, wie Jan zwischen IKEA-Regal und spätbarocken Sesseln aus der Mitte der 60er Jahre, genauer gesagt vom Sperrmüll, ausdruckstanzt. Dabei ist die Inspiration durch das Kopfnicken der „Bezaubernen Jeany“ und Travoltas „Pulp-Fiction“-Tanz ganz unverkennbar.
Film, Musik, aber auch Comic und Prosa aus dem Hause Himmel laufen unter dem Logo „Destrukt“. Und natürlich sind auch die Coverversionen keine Coverversionen, sondern Dekonstruktionen. Meistens auch Improvisationen. Gott und Sohn fallen hordenartig über Rockklassiker her – mit wildem Geklampfe und Geschrei, aber ohne teure Verstärkeranlage. „Die anderen haben das größere Equipment, wir dafür das größere Vergnügen.“ Sauberer Handel. Im Eifer des Gefechts schwankt das Rhythmusgebäude, die Akkordsäulen bröckeln und die Melodielinie schlingert wie ein Fahrradfahrer mit 3 Promille, besonders bei Dirks begnadeten Flötensoli. Schlingernde Fahrradfahrer gelten gemeinhin als Synonym für das Wort „Ironie“. Doch Jan protestiert: „Ironie? Das klingt zu bedächtig.“ Außerdem findet er das eigene übermütige Getöse viel ehrlicher als die glatte Perfektion der Radiohits. Nun gut; dann deuten wir es eben nicht als Ironie, wenn Dirk in seinen Mini-Krimis abgehalfterte Detektive auf teetrinkende Fischwesen aus dem All hetzt. Und wir sehen es auch nicht ironisch, wenn entpellte Bananen gegen Kanalschweine kämpfen. Gott sollte man nienieniemals widersprechen.
Ihre Aufführungspraxis erwarben sie sich übrigens bei Studienfeten im Schlachthof an strategisch günstiger Stelle direkt vor dem Klo. „Wir sind eben Klospülung. Oder zumindest Klospieler.“ Jetzt noch der Gott & Sohn-Beziehungstip: Wer B.E. Ellis „Unter Null“ der Freundin leiht, der ist das Buch los und die Freundin, halleluja. B. Kern
Livemusik, Krimilesung, Ausdruckstanz und ein Video, bei dem garantiert jedes Effektknöpfchen des Schnittplatzes betätigt wurde, von „Gott & Sohn“ im AWAS. 5.12., 20.30h. Erntedank: Die drei ersten Gäste erhalten Demokassetten und andere Devotionalien.
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