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Feuerwehrmann mit Ikarus-Syndrom

■ 25jähriger zukünftiger Brandmeister, der über sechzig Feuer legte, kommt in die Psychiatrie wegen Schuldunfähigkeit. Der spektakuläre Fall ist die Geschichte eines einsamen Menschen

Immer wenn die Flammen lichterloh hochschlugen, war der Feuerwehrmann Thomas K. als einer der ersten zum Löschen zur Stelle. Daß der 25jährige die Brände meist selbst gelegt hatte, kam erst nach mehreren Jahren heraus. Ein Observationstrupp der Polizei hatte seinen Privatwagen in der Nähe eines Brandherdes gesehen. Als die Handschellen klickten, trug Thomas K. noch die Uniform. Gestern wurde er von einer Großen Strafkammer des Landgerichts für schuldunfähig befunden und in die Psychiatrie eingewiesen.

Vor Gericht mußte sich Thomas K. für 61 Brände zwischen Juli 1996 und Mai 1998, vor allem in Hohenschönhausen und Weißensee, verantworten. Vermutlich waren es weitaus mehr. Der Schaden beläuft sich auf mehrere Millionen. Nach seiner Festnahme hatte Thomas K. ein umfassendes Geständnis abgelegt. Nicht nur in Kellern und auf Dachböden von zum Teil bewohnten Häusern hatte er gezündelt, auch Lagerhallen, Schuppen, Müllcontainer und Altreifenlager setzte er in Brand. Menschen kamen nicht zu Schaden, allerdings wurden einige Feuerwehrleute beim Löschen verletzt.

Thomas K. ist ein schmächtiger junger Mann mit kurzen schwarzen Haaren, der wesentlich jünger aussieht, als er ist. Während des Prozesses saß er wie ein Häufchen Elend auf der Anklagebank. Zögerlich und stockend gab er die Vorwürfe zu. Die Taten bereiteten ihm so große Gewissensqualen, daß er von Tränenausbrüchen geschüttelt wurde, als ihm der Richter Fotos von Schutt- und Aschehaufen vorlegte.

Hinter dem spektakulären Fall des Feuerwehrmannes, der selbst Brände legte, verbirgt sich die Lebensgeschichte eines einsamen, kranken Menschen. Nach Angaben des psychiatrischen Gutachters leidet Thomas K. an einer schweren Persönlichkeitsstörung und dem pathologischen Brandstiftungssyndrom, dem sogenannten Ikarus-Syndrom. „Er ist ein ungemein schüchterner Mann, ohne Selbstwertgefühl, der sich Frauen kaum nähern konnte“, so der Gutachter. Der in Hohenschönhausen aufgewachsene Angeklagte ist einer von zwei Söhnen einer Arbeiterin und eines Heizungstechnikers. Er habe „in ständiger Angst“ vor seiner Mutter gelebt, die ihn ständig verprügelte und die Striemen mit Creme überdeckte, bevor sie den Jungen zur Schule schickte, so der Gutachter. Seinen ersten Brand habe er als Sechsjähriger gelegt, indem er bei den Großeltern einen Teppich mit einem glühenden Feuerhaken entzündete. Der Anblick von Flammen habe ihn nicht nur erregt, sondern auch eine beruhigende Wirkung gehabt.

Zunächst war Thomas K. als Krankenpfleger bei der Intensivrettung tätig gewesen. 1994 meldete er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr. Dort habe er endlich Freunde gefunden, hatte er als Beschuldigter bei der Polizei gesagt. Auf die Idee, sich als Brandmeister zu bewerben, hatte ihn ein Feuerwehrmann gebracht. Nach seiner Festnahme hatte Thomas K. gesagt, daß er als angehender Brandmeister eigentlich aufhören wollte, Feuer zu legen. Doch als er, so der Gutachter, „eine liebevolle Freundin“ kennenlernte, habe er aus Angst vor sexuellen Kontakten wieder häufiger Feuer gelegt. Beim Löschen habe sich der junge Mann in geradezu selbstmörderischer Weise ganz vorn am Brandherd einsetzen lassen.

Die Unterbringung in der Psychiatrie ist zeitlich nicht befristet. Doch wenn Thomas K. bei der Therapie mitmache, so der Gutachter, könne er möglicherweise in absehbarer Zeit „wieder ein normales Leben führen“. Plutonia Plarre

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