piwik no script img

Promotion vom Dealer zum Drogenfachhändler

■ Zwei Kriminologen wollen den Drogendealern zu einem neuen Berufsbild verhelfen. Sie fordern die offizielle Kriminalpolitik heraus. Ihr Ziel: Ein besserer Schutz vor Suchtgefahren

Dealer sind skrupellose Verbrecher, die mit dem Elend von Süchtigen ihr schmutziges Geld verdienen... Ein reißerisches Pamphlet über Drogendealer zu schreiben ist nicht schwer. Die Klischees sind da und können leicht bedient werden. Immerhin 86 Prozent der Bevölkerung fordern einer aktuellen Umfrage zufolge noch härtere Strafen für Drogenhändler.

Mutig ist dagegen, wer versucht, Dealer zu „entdämonisieren“, und dies auch nach als „Beitrag zu einer rationalen Drogenpolitik“ ankündigt. Die beiden Hamburger Kriminologen Bettina Paul und Henning Schmidt-Semisch haben mit ihrem Sammelband „Drogendealer – Ansichten eines verrufenen Gewerbes“ diesen Versuch unternommen.

Hinter dem scheinbar neutralen Titel versteckt sich eine gewagte These: Der „Drogendealer“ sei ein „durch und durch staatlich produziertes Problem“. Denn erst durch die Kriminalisierung bestimmter Drogen bekomme dieser „Beruf“ sein bedrohliches Gepräge. So zwinge vor allem die polizeiliche Verfolgung zur Bildung streng abgeschotteter und oft ethnisch homogener Banden. Auch die Androhung und Ausübung von Gewalt sei in einer „illegalisierten Ökonomie“ notwendig. Schließlich könnten sich Drogenhändler bei geschäftlichen Streitigkeiten eben nicht an Polizei und Gerichte wenden. Abgesehen von diesen staatlich erzwungenen Unterschieden seien Dealer aber ganz normale Menschen, so die These, die oft ein bürgerliches (Doppel-)Leben führen und die üblichen moralischen Werte teilen.

Mit dieser Einschätzung fordern die beiden Kriminologen nicht nur die offizielle Kriminalpolitik heraus. Auch wer eine mehr oder weniger offensive Drogen- Legalisierung befürwortet, hat für Dealer in der Regel wenig Verständnis. Paul und Schmidt-Semisch halten das für kurzschlüssig. Wer wirklich eine neue Drogenpolitik wolle, müsse auch die Dealer einbeziehen und eine Art „Drogenfachhandel“ zulassen. Nur so könnten auch die Händler in eine präventive Strategie eingebunden werden. Denn zum Rausch-„Gift“ werden Drogen heute oft nur deshalb, so Henning Schmidt-Semisch, „weil weder Dealer noch Konsumenten wirklich wissen (können), wer die gehandelte Ware wo, wie und in welchem Reinheitsgrad produziert oder gestreckt hat“. Als Modell werden die „Coffee Shops“ in den Niederlanden genannt. Ein Beitrag über die holländischen Erfahrungen mit solchen staatlich geduldeten Verkaufsstellen für weiche Drogen fehlt leider im besprochenen Buch. Ebensowenig wird die kontrollierte Heroinabgabe durch Ärzte und ihre Auswirkung auf den Drogenhandel thematisiert.

Herzstück des Sammelbandes sind drei US-amerikanische Studien über Kokain- und Crack-Dealer. Dabei stützt insbesondere der Beitrag über eine New Yorker Crack-Szene nicht den versöhnlichen Tenor des Buches. Die Desperado-Mentalität der Ghetto- Gangster wird dort gerade als Rebellion der Benachteiligten gegen die Werte der US-Mittelschicht beschrieben.

Auch zwischen den verschiedenen Arten illegaler Drogen fehlt dem Buch meist jede Differenzierung. Haschisch, Ecstasy, Kokain, Heroin oder Crack – in den systematisierenden Beiträgen wird alles über einen Kamm geschoren, obwohl sich Wirkung und Suchtpotential ja doch deutlich unterscheiden.

Es wäre hilfreich gewesen, wenn das Buch solche Probleme offener thematisiert hätte. Daß es in diesem Bereich noch wenig Forschung gibt, kann dabei keine Ausrede sein. Wenigstens einige differenzierende Fragen und Hypothesen hätte man erwarten können. Denn die Grundtendenz des Buches weist in eine bedenkenswerte Richtung: Eine Legalisierung bestimmter Drogen wird auch den einschlägigen Handel zivilisieren. Christian Rath

Bettina Paul, Henning Schmidt- Semisch (Hg.): „Drogendealer. Ansichten eines verrufenen Gewerbes“. Lambertus, Freiburg 1998, 34 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen