: Weniger Euro für das neue Europa
■ Deutschland zahlt zuviel Geld nach Brüssel: Da ist sich Kanzler Schröder mit seinem Vorgänger einig. Die Bundesregierung will deshalb die Modalitäten ändern. Im Auswärtigen Amt haben Joschka Fischers Beamte erste Vorschläge ausgearbeitet. Ob Agrarausgaben, Strukturhilfen oder Mehr- wertsteuersätze: nichts ist ihnen heilig.
Die europäischen Außenminister tragen keine Unterarmtäschchen. Sonst wäre einer der Herren bei der Außenministerkonferenz der EU-Staaten vielleicht versucht gewesen, mit der Tasche auf den Tisch zu schlagen – so wie 1984 Margaret Thatcher beim Europäischen Rat in Fontainebleau. Wutentbrannt hatte die Eiserne Lady damals ihre Henkeltasche auf den Tisch gedonnert und in die Runde gerufen: „I want my money back! I want my money back!“ Erst als die versammelten Männer ihr einen Rabatt bei den EU-Zahlungen versprachen, beruhigte sich Mrs. Thatcher wieder.
Der Briten-Rabatt säht Zwist. Die Außenminister haben sich bis heute in Brüssel darüber gestritten, wie sie die Ein- und Ausgaben der Europäischen Union reformieren können. Zu einem Ergebnis werden sie wohl nicht kommen. So müssen die EU-Regierungschefs am Wochenende weiterdebattieren. Doch es ist unwahrscheinlich, daß die Staatsoberhäupter einen Schritt weiterkommen.
Dabei drängt die Zeit. Die Hauptaufgabe Deutschlands wird ab 1. Januar – wenn die Bundesregierung die Präsidentschaft über den Europäischen Rat übernimmt – darin bestehen, die Verabschiedung der Agenda 2000 vorzubereiten. Die EU-Kommission hatte dieses Reformpaket ausgearbeitet, um die Aufnahme weiterer Staaten zu ermöglichen. Allen Beteiligten ist klar, daß die EU nur erweitert werden kann, wenn sie ihre innere Reform vorher abgeschlossen hat. Das über 1.000 Seiten starke Konvolut Agenda 2000 teilt sich in drei voneinander abhängige Kapitel: ein Dossier über eine Reform des Agrarhaushalts und eines über die wichtige Strukturreform sowie das dritte Dossier, das sich mit den Finanzen der Gemeinschaft beschäftigt.
Letzteres ist mit Abstand der wichtigste Abschnitt. Bis zur Regierungskonferenz am 25. März in Köln haben die Regierungschefs für eine Lösung Zeit. Erreichen sie keinen Konsens, dann bekommen die EU-Mitgliedsstaaten ab 1. Januar 2000 womöglich kein Geld mehr aus Brüssel. Das Europäische Parlament muß nämlich auf seiner letzten Sitzung im Mai 1999 die Agenda 2000 genehmigen. Da im Sommer Europawahlen anstehen, tagen die Parlamentarier erst im November wieder. „Das ist dann viel zu spät“, sagt Elisabeth Schroedter, Abgeordnete der Grünen im Europäischen Parlament: „Die Österreicher haben in den letzten Monaten zuwenig verhandelt, und die Deutschen bauen jetzt einen Widerstand auf, den sie bis März kaum abbauen können.“
Im Auswärtigen Amt, das die Verhandlungen in den nächsten Monaten führen wird, rechnet man „mit einer Nacht der langen Messer“. Dabei haben die Beamten von Außenminister Joschka Fischer sehr genaue Vorstellungen, wie der Beitrag Deutschlands verringert werden kann. Sieben Punkte hat die Abteilung E, zuständig für Europaangelegenheiten, ausgearbeitet. Etliche würden auch den anderen Nettozahlern – den Niederlanden, Österreich, Schweden und Großbritannien – zugute kommen.
Eine vorgeschlagene Möglichkeit ist die Begrenzung der Nettozahlungen. Das würde bedeuten, daß die Überweisungen eines Landes nach Brüssel einen bestimmten Prozentsatz des Bruttosozialprodukts des Staates nicht überschreiten dürfen. Bei den Agrarausgaben könnte ein Teil der Lasten von Brüssel weg auf die Mitgliedsstaaten verlagert werden. Deutschland würde seine Nettozahlerposition damit verbessern, da kaum Geld aus Brüssel für die Landwirtschaft zurückfließt. Strikt dagegen sind allerdings Spanien und Portugal, die dann 25 Prozent der Agrarsubventionen selbst zahlen müßten.
Der spanische Regierungschef Aznar lehnt auch eine Streichung des Kohäsionsfonds ab, den Deutschland für durchaus verzichtbar hält. Aus diesem Topf werden Projekte in benachteiligten Regionen finanziert, um den Lebensstandard in der EU anzugleichen. Bis auf hoffnungslose Fälle sei das Ziel ausreichend erreicht, so Stimmen aus Bonn.
Dasselbe Ziel verfolgte auch ein Programm, das Europa in sieben verschiedene Fördergebiete einteilte und Straßen, Flughäfen und Gewerbegebiete förderte. Zu dem am stärksten subventionierten, weil am wenigsten entwickelten Zielgebiet 1 gehörte bislang auch Ostdeutschland. Pro Kopf ihrer Bevölkerung bekamen die ostdeutschen Länder bislang 143 Ecu (knapp 300 Mark) im Jahr. Im Zielgebiet 1 lebende Portugiesen aber bescherten ihrer Regierung 265 Ecu, weil Portugal nun mal ein ärmeres Land ist. Wenn die Bundesregierung diese Regelung wegverhandeln und eine identische Förderung in allen Staaten durchsetzen könnte, würde Deutschland in Zukunft immerhin 1 Milliarde Ecu im Jahr sparen. Und immerhin fast 3 Milliarden Ecu könnte Bonn im Jahr sparen, wenn es nicht mehr 1,4 Prozent der Mehrwertsteuer nach Brüssel überweisen müßte.
Und dann ist da noch der Briten-Rabatt. Auch wenn der abgeschafft wird, sparen die Deutschen und andere Länder an eigenen Zahlungen. Dagegen wird jedoch der auf die Tischplatte geknallte Aktenkoffer Tony Blairs sprechen. Im Auswärtigen Amt rechnet man daher damit, daß „eine Mischung aus allen Vorschlägen zu einer Lösung“ führen wird. Wenn sich die Regierungschefs nicht doch noch Unterarmtäschchen zulegen. Ulrike Fokken
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