: Ritter Peter und der Kinotod
■ Der britische Regisseur Peter Greenaway und prominente deutsche Theaterschaffende galoppieren durch die Krise von Bühne und Film
Der Theaterkritiker der ZEIT, Gerhard Jörder, stützt sich auf den Ellbogen, wenn er etwas sagen will. Der Filmregisseur Peter Greenaway steht dagegen kerzengerade wie ein Sir kurz vor dem Ritterschlag da, wenn er eine Rede hält. Gerhard Jörder ruft: „Der Tempowahn und das Marktdenken haben längst auch die seriösen Medien ergriffen.“ Peter Greenaway sagt: „Das Kino ist tot, es wird etwas Neues kommen, das ich Kino-Kino nenne, solange niemand einen anderen Begriff findet.“ Kurzum: Neulich in der Kulturhauptstadt war richtig was los.
An einem eigenartigen Sonntag nachmittag und abend diskutieren erstens ein prominent besetztes Podium auf Einladung der SPD-Bürgerschaftsfraktion in der Galerie Rabus – wieder mal – darüber, „wohin das Theater treibt“. Und es redet zweitens fast zeitgleich im nur fußläufig entfernten Messezentrum ein Visionär – mal wieder – darüber, warum das Kino auf der Stelle tritt. Freilich sehen die Fachschaften für Film und Theater, namentlich für die Sparte Schauspiel, ihre Genres nicht zum ersten Mal in der Krise. Doch in dieser Ballung kommt erstens das Krisengerede und (nach dem ganzen Bremer MkKinsey-Bla-Bla) zweitens die inhaltliche Diskussion selten daher und schlägt vielleicht deshalb erste Funken des Neuen.
Das Messezentrum ist für die Suche danach auf den ersten Blick die passendere Umgebung. Gerade geht der gut gelungene Kongreß „profile intermedia“ zu Ende (vgl. taz vom Montag), als Peter Greenaway nicht wie die anderen ReferentInnen über Design, neue Netze, neue Kunst und Werbung, sondern über das Kino spricht. Greenaway ist unbescheiden. Beispiele aus seinen eigenen Filmen wie „Prosperos Bücher“ oder „Die Bettlektüre“ illustrieren seine These vom Ende des (herkömmlichen) Kinos. Seine Fordschaft Peter Greenaway hält den ZuhörerInnen vor, „am Casablanca-Syndrom zu leiden“, wenn sie sich an verfilmten „Novellen im Stil des 19. Jahrhunderts“ mit den Schemata Anfang, Mitte und Ende sowie Konfliktsituation und deren Auflösung ergötzten. Im Vergleich zur Entwicklung von Literatur, Musik und bildender Kunst sei das erst hundert Jahre alte Kino konservativ – nur merkt es wieder keiner.
Was aber das „Kino-Kino“ sein wird, weiß auch Greenaway noch nicht so genau. In seiner Prognose spielen das Bild im Bild eine immer größere Rolle, während Kamera-virtuosität, SchauspielerInnen und Drehbuch (-Erzählung) an Bedeutung verlieren. Freilich beschreibt Greenaway da seine charakteristischen Stilmittel. Und wenn der neuerdings häufiger am Theater inszenierende Regisseur voraussagt, daß das „Kino-Kino“ die passive Zuschauerrolle aufheben wird, deckt sich das auffällig mit seinem neuen Projekt „92 Suitcases“, das Filme, CD-ROM-Veröffentlichungen und einen Internet-Auftritt kombiniert.
Dagegen sind die Theaterleute regelrecht technikunabhängig. Umgeben von monochromer Kunst in der Galerie spielen die Herren Frank Castorf (Volksbühne), Thomas Ostermeier (noch „Baracke“, bald Berliner Schaubühne), Klaus Pierwoß (Intendant am Bremer Theater) und jener Gerhard Jörder sowie Frau Kerstin Specht (Autorin) junge AutorInnen gegen Klassiker und umgekehrt aus und verwünschen oder predigen die Handschrift der RegisseurInnen. Kerstin Specht („Amiwiesen“, „Froschkönig“, „Herzkönigin“, „Schneeköniginnen“) jedenfalls ist gar nicht zufrieden, weil Jung-RegisseurInnen bei Uraufführungen ihre Stücke verhunzen (und genauso schlecht mit Sprache umgehen wie die KritikerInnen). Gerhard Jörder ist einerseits gar nicht zufrieden mit dem Verhältnis, das die Theater mit Ausnahme von Ostermeiers „Baracke“ und ersten Nachahmern zu zeitgenössischen AutorInnen haben. Derweil ist Frank Castorf anderseits mit vielem nicht zufrieden, was heutzutage so geschrieben wird. Allein der Jung-Erfolgreiche Thomas Ostermeier, der zeitgenösssische Literatur aus Rußland sowie vor allem aus Großbritannien für Berlin entdeckt hat und sich gleiches auch mit deutschen AutorInnen vornimmt, inszeniert Themen, die ihn interessieren: „Wenn man gutes Theater macht, kommen die Leute auch“, sagt er und muß sich von Papa Castorf über den Unterschied belehren lassen, eine 100-Plätze-„Baracke“ oder ein 1.400-Plätze-Schauspielhaus zu bespielen. So kabbeln sie miteinander und verhaspeln sich auch gern im Widerspruch. Einzig Klaus Pierwoß räumt – von wegen Bremen-Bezug – ein, daß die Verwirklichung der Hauptaufgaben (s)eines Viersparten-Theaters, „Altes neu zu sehen“ und Uraufführungen anzusetzen, im Musiktheater gut und im Schauspiel „nicht so“ gelungen sei.
Wie gesagt, sie kabbeln miteinander und werden weiter miteinander kabbeln. Denn während auf Multiplex- und Imax-Filmpaläste ganz gewiß ein Abklatsch von Greenaways „Kino-Kino“ folgen wird, ist und bleibt das Theater schlicht ein Ort, an dem eine Menschengruppe live agiert. Und ob die da nun (weiterhin) die einzige und identifizierbare Theaterästhetik suchen oder (hoffentlich) noch ein bißchen weiter die Gleichzeitigkeit des vollkommen Verschiedenen pflegen: Was das Theater kann, wird kein Fühlkino je können. ck
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