piwik no script img

Zum ersten Mal seit 130 Jahren leitet das amerikanische Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren gegen einen Präsidenten ein. Nach Bill Clinton wurde jetzt auch der Führer der Republikaner, Bob Livingston, ein Opfer der Lewinsky-Affäre. Aus Washington Peter Tautfest

Machtkämpfe unter der Gürtellinie

Die Entscheidung des Repräsentantenhauses fiel nach achtzehnstündiger Debatte im Plenum, zehnwöchigen Vorermittlungen im Rechtsausschusses und sechsmonatigen Nachforschung eines Sonderanwalts. Damit endet vorläufig die zwölfmonatige Obsession der Medien und der Öffentlichkeit mit einem Sexskandal, durch den zwei Frauen, Paula Jones und Monica Lewinsky, dauerhaft in die amerikanische Geschichte eingehen werden. Das Ergebnis ist das erste Impeachment eines US-Präsidenten seit 130 Jahren. Es ist das zweite Verfahren zum Sturz eines Präsidenten überhaupt in der Geschichte der USA – Nixon trat seinerzeit noch vor der Verabschiedung seiner Anklage im Plenum zurück.

Bei der zweitägige Debatte Ende letzter Woche tauschten die 435 Abgeordneten in kurzen vorbereiteten Statements die immer gleichen Argumente für oder gegen die Amtsenthebung von Bill Clinton aus. Die Rhetorik reichte vom hohlen Pathos bis zur inhaltslosen Phrase, von der Stilblüte bis zum leidenschaftlichen Plädoyer, von der Heuchelei bis zur Demagogie – nur selten kam es zu rednerischen Glanzleistungen. Entsprechend leer waren Sitzungssaal und Zuschauergalerie. Die schier endlose Abfolge vorgestanzter Reden hatte geringen Unterhaltungs-, aber großen Informationswert. Beleuchtete sie doch den tiefen Riß, der durch die amerikanische Gesellschaft geht. Trauer und Erschöpfung auf allen Seiten folgten dem Königsmord.

Die Republikaner hatten die stringentere Argumentation und führten von der Höhe eines moralischen Rigorismus aus den konzentrierteren Angriff. Einer nach dem anderen trat für die Bewahrung von Verfassung, Rechtsstaat und Gleichheit vor dem Gesetz ein. Die Metaphern waren biblisch, die Sprache alttestamentarisch. Die Verfassung stifte den Bund von Staat und Gesellschaft wie die Zehn Gebote den zwischen Gott und seinem ausgewählten Volk, führte der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Henry Hyde, an. „Der Weg der Verfassung ist steinig“, (Asa Hutchinson), als ginge es um die Nachfolge Christi.

Die Demokraten fuhren kleineres Geschütz auf und verzettelten ihre Kräfte. Sie stritten um die Wahl des Zeitpunkts – „wir sollten für unsere Truppen beten, statt ihren Oberkommandierenden zu enthaupten“ (Ike Skelton) – und die Wahl der Strafe: Für ein Verhalten, das auch sie verurteilten, sei eine Abmahnung, ein Tadel angemessener.

Die Versuche der Demokraten, selbst das Banner der Verfassung zu ergreifen, überzeugten nicht: „Wir sind die eigentlichen Beschützer der Verfassung“, sagte die schwarze Abgeordnete aus Los Angeles, Maxine Waters, in einer der wenigen mitreißenden Reden: „Die Republikaner wollen den Standard für das Impeachment herabsetzen und daraus ein Instrument zur Abwahl eines ihnen nicht genehmen Präsidenten machen.“ Vom „Staatsstreich im Gewande der Verfassungstreue“ (John Conyers) sprachen die Demokraten.

„140 Jahre habe ich dafür gebraucht, hier herzukommen, das war die Verfassungswirklichkeit“, sagte die schwarze Abgeordnete Carrie Meek, aus Florida. Hier wurde der Kulturkampf geführt, der Amerika seit 150 Jahren zerreißt: Bürgerkrieg, New Deal, Bürgerrechts-, Frauen-, Antikriegs- und Umweltbewegung sowie die sexuelle Revolution. Jede Bewegung trug jeweils das ihre dazu bei, die Freiheitsgarantie der Verfassung auf größere Teile der Bevölkerung auszudehnen, jede aber spaltete zugleich Amerika, jede entfremdete das Land von seinen Traditionen und seinem Selbstverständnis.

In den Auseinandersetzungen um das Impeachment hallte das Echo des Bürgerkriegs und der „Civil Rights“-Bewegung nach, die Auseinandersetzung um die Sozialgesetzgebung Roosevelts und die Reformversuche Johnsons. Da sitzt auf der Seite der Republikaner ein Abgeordneter aus Georgia namens Robert Barr, der Vorträge vor dem „Council of Conservative Citizens“ hält, einem Verein, der sich um das Überleben der zehn Prozent Weltbevölkerung Sorgen macht, zu der die weiße Rasse angeblich geschrumpft sei. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums sitzt der sich offen zu seiner Homosexualität bekennende Bernie Frank und die scharfzüngige Maxine Waters, für die Clinton wegen seiner populistischen Politik gestürzt werden soll: „Schuldig ist Bill Clinton, weil er die Regierung für Minderheiten und Frauen geöffnet hat, weil er weder Teil des ,Old boy‘-Klüngels der Südstaaten noch des Establishment im Nordostens ist.“

Für die Demokraten ist der Sturz Clintons die Rache für Richard Nixon. Für die Republikaner ist sein Sexskandal Beweis, daß die sexuelle Freiheit zum Untergang von Demokratie und Rechtsstaat führten. In den Auseinandersetzungen zwischen beiden Seiten erkennt sich die Mehrheit der Amerikaner nicht wieder. Sie wendet sich ab von der Politik.

Nicht mehr mit Argumenten und Kompromissen wird gefochten, sondern mit dem Versuch sich gegenseitig zu vernichten. „In dieser Stadt gilt die Vernichtung eines Menschen als Sport“, schrieb vor seinem Selbstmord der Justitiar des Weißen Hauses und Schulfreund Clintons, Vincent Foster. „Blood Sport“ ist der Titel, den der Journalist James Stuart seinem Buch über den Watergate-Skandal gab. Diesem Sport fiel jetzt auch der Präsident selbst zum Opfer – für die Republikaner war es ein Pyrrhussieg: Sie verloren im Gegenzug gleich zwei ihrer führenden Leute: Gingrich und dessen Nachfolger Bob Livingston. Jetzt liegt Amerikas politische Klasse verwundet darnieder und ist verwundert darüber, was sie angerichtet hat. Gut stehen die Chancen für eine Besinnung nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen