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Trittin schickt Atomkommission ins Endlager

■ Der grüne Umweltminister löst die beiden einflußreichsten Expertengremien auf, die ausschließlich mit Atombefürwortern besetzt waren. Kanzler Schröder ist sauer: „Wichtigtuerisches Gehabe.“ Er verlangt für die Neubesetzung ein Mitspracherecht der AKW-Betreiber

Hannover (taz) – Zwei alte Gegner der Anti-AKW-Bewegung hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnisgrüne) gestern auf einen Streich entsorgt und sich prompt dafür eine Rüge von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eingefangen. Trittin erließ für die Reaktorsicherheitskommission und für die Strahlenschutzkommission neue Satzungen. Und löste gleichzeitig die beiden bisherigen Kommissionen „mit sofortiger Wirkung“ auf. Ein erboster Gerhard Schröder sprach anschließend von einem nicht mit dem Kanzleramt abgestimmten Schritt und warf seinem Bundesumweltminister „wichtigtuerisches Gehabe“ und „parteipolitische Symbolik“ vor. Die beiden Kommissionen sind allerdings direkte Beratungs- und Expertengremien des Bundesumweltministers, der ja auch den Titel Minister für Reaktorsicherheit trägt.

Bundeskanzler Schröder warnte Trittin gestern vor Alleingängen. Hier stünden die geplanten Konsensgespräche mit der Stromwirtschaft und auch die rot-grüne Koalition auf dem Spiel, ließ Schröder erklären. Bundeswirtschaftsminister Werner Müller (parteilos) hatte kürzlich beide Atomkommissionen noch zum Thema der Konsensgespräche machen wollen, hatte für ein Mitspracherecht der AKW-Betreiber bei der Neubesetzung dieser beiden höchsten Sicherheitsgremien plädiert. Trittin will mit seiner neuen Satzung für die Kommissionen nun auch die Kompetenzen seiner beiden Beratergremien beschneiden. Künftig sollen für die rechtliche und technische Bewertung von Risiken allein die Atomaufsichtsbehörden zuständig sein. Beide sollen sich wissenschaftlichen Analysen widmen und technische Alternativen zu bisherigen Konzepten erarbeiten.

Bisher hatten die Empfehlungen der Kommissionen nahezu bindenden Charakter und großen Einfluß auf Genehmigungsverfahren für atomare Anlagen. Auch in Gerichtsverfahren urteilten die entsprechenden Kammern immer wieder auf Grundlage von Stellungnahmen der Reaktorsicherheitskommission. Die beiden neuen Kommissionen will Trittin erst im Januar berufen. Wieder mit dabei sollen auch Mitglieder der bisherigen Kommissionen sein. Insgesamt will der Bundesumweltminister die Mitglieder der beiden Gremien künftig so besetzen, daß sie das ganze Spektrum der wissenschaftlichen Meinungen repräsentieren.

Bisher hätten die beiden Gremien nicht im Verdacht gestanden, atomkraftkritische Positionen zu vertreten, sagte gestern der Sprecher des Bundesumweltministeriums, Michael Schoeren. Künftig solle in den beiden Kommissionen eine ausgewogene Beratung sichergestellt werden. Die neuen Kommissionen sollen auch kleiner werden als ihre Vorgänger: Die Reaktorsicherheitskommission soll von 26 auf zwölf Mitglieder schrumpfen, die Strahlenschutzkommission von 17 auf 14 Mitglieder. Jürgen Voges Seite 8

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