: „Von Hilfe habe ich auf dem Sozialamt nichts gespürt“
■ Überfüllung, neuer Mut und „Horror pur“ auf den Behörden: Eindrücke einer ehemaligen Frauenhausbewohnerin
Die Nummer des Frauenhauses hatte ich aus dem Telefonbuch. Nachdem ich Kontakt zu einem der Häuser aufgenommen hatte, verabredeten die Frauen mit mir einen Treffpunkt. Dort holten mich die Bewohnerinnen des Hauses ab. Leider gibt es nicht für alle Frauen, die aufgenommen werden, ein eigenes Zimmer. Sie kommen in die Notaufnahme. Das sind entweder Räume oder ein Saal, in dem Matratzen liegen. Eine Intimsphäre gibt es unter solchen Bedingungen nicht. Ich fand diese Situation entwürdigend.
Die Mitarbeiterinnen im Frauenhaus versuchen, die Zeit in der Notaufnahme so kurz wie möglich zu gestalten. Entweder werden Zimmer im Haus frei, oder es wird geschaut, in welchem anderen Frauenhaus Plätze frei sind. Das kann dann natürlich bedeuten, daß frau wiederum mit Sack und Pack und gegebenenfalls mit Kindern auf die Reise gehen muß. Bei mir war das damals der Fall. Ich habe diese Zeit als sehr anstrengend in Erinnerung. Nie hatte ich das Gefühl, richtig zur Ruhe zu kommen.
Wir lebten dann alle unseren Alltag: kochen, putzen, Behörden, Kinder versorgen. Allein das hielt uns ziemlich im Trab. Alle vierzehn Tage gab es ein Hausgespräch. Dort trafen sich die Bewohnerinnen und die Mitarbeiterinnen, um Organisatorisches zu besprechen, Probleme unter den Frauen zu diskutieren, den Putzplan zu kontrollieren, Hausverbote auszusprechen etc.
Zwischen den Pflicht-Hausgesprächen gab es die „lockeren Hausgespräche“. Manchmal wurde die Zeit genutzt, um bestimmte Themen, die im Pflicht-Hausgespräch kontrovers diskutiert worden waren, zu vertiefen. Manchmal ging es in die Disco, Billardspielen oder ins Theater. Daß wir ab und an auch mal etwas anderes getan haben, als immer nur im Haus zu glucken, tat gut. Als besonders schön und entspannend habe ich die Feste in Erinnerung, die wir gefeiert haben. Und einmal sind alle Frauen zusammen in die Frauensauna gegangen, da war ich einen Moment lang richtig entspannt und glücklich.
Leider hielt das meist nicht sehr lange vor, denn eine Trennung ist an und für sich nichts Einfaches, aber wenn du dann auch noch deine Wohnung verlierst, deine alte Umgebung hinter dir lassen mußt, vom Partner bedroht wirst und auf engstem Raum in einem Haus lebst, das von ganz verschiedenen Frauentypen bewohnt wird, mit denen du nicht freiwillig zusammenlebst, dann ist das eine harte Zeit. Daß wir alle Gewaltsituationen hinter uns hatten, war auf der einen Seite etwas, was uns ohne große Worte verband, und auf der anderen Seite war das Sprechen darüber weitestgehend ein Tabu. Statt dessen wurde im täglichen Gespräch viel gealbert und gelacht.
Die Behörden habe ich als besonders schlimm in Erinnerung. Ich als Neuling dachte, die Behörden sollen und wollen Frauen in Trennungssituationen, insbesondere in Gewaltsituationen, helfen. Das ist jedoch nicht die Realität. Viele Mitarbeiterinnen in den Behörden sind unsensibel für die Situation im Frauenhaus oder einfach „nur“ gleichgültig. Das Sozialamt war der Horror pur. Die boxten da am liebsten um jede Minute, die sie keine Sozialhilfe zahlen mußten. Von Hilfe habe ich da nichts gespürt.
Auf dem Amt für Soziale Dienste wirst du ziemlich „bearbeitet“, damit so schnell wie möglich ein Kontakt zwischen dem Vater und dem Kind oder den Kindern zustande kommt. Damit habe ich mich sehr schwer getan, und ich habe es als sehr ungerecht empfunden, daß es in erster Linie nicht darum geht, dir und deinen Kindern zu helfen. Statt dessen sollst du gleich wieder Kontakt zu ausgerechnet der Person herstellen, wegen der du und deine Kinder im Frauenhaus sind.
Ich habe immer versucht, viel aus dem Haus zu gehen. Das Frauenhaus war eng, weil meist voll ausgelastet oder überlastet. Es war hellhörig, meist tobten lauthals Kinder herum, dröhnte irgendwo Musik. Viel war kaputt, denn das Haus war alt und hatte viel erlebt. Dennoch war es der sicherste Ort, was die eigene Gefährdung betraf.
Nach einem dreiviertel Jahr konnte ich bei einer Freundin wohnen. Einge Frauen, insbesondere mit mehreren Kindern, mußten viel länger bleiben. Es gibt zu wenig große Wohnungen in Hamburg. Das Warten, das Hoffen war für diese Frauen belastend.
Ich habe den Entschluß, ins Frauenhaus zu gehen, nicht bereut. Es gab zum damaligen Zeitpunkt keine andere Möglichkeit, um dem Terror meines Mannes zu entfliehen.
Eine ehemalige Bewohnerin
Aus dem Reader „20 Jahre Autonome Hamburger Frauenhäuser“, erhältlich in sieben Sprachen für 12 Mark bei: „Frauen helfen Frauen e.V.“, Amandastr. 58, 20357 Hamburg, Tel.: 430 21 76
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