piwik no script img

Wundgescheuert bis auf die Knochen

Gerichtsmediziner: Jeder fünfte bettlägerige Patient wird nicht ordnungsgemäß versorgt. Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Pflegedienste  ■  Von Elke Spanner

Die Hamburger Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere Pflegedienste. Es besteht der Verdacht, daß rund 20 Prozent der bettlägerigen PatientInnen vom Liegen verursachte Wunden und aufgescheuerte Haut haben, weil sie nur mangelhaft versorgt werden. Elf Ermittlungsverfahren laufen; in fünf Fällen sogar wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung.

Auf die offenbar defizitäre Pflege hatte der Hamburger Gerichtsmediziner Professor Klaus Püschel aufmerksam gemacht. Das rechtsmedizinsche Institut, bei dem er arbeitet, untersucht routinemäßig Leichen vor ihrer Einäscherung. Ende 1997 fiel dabei die schlechte körperliche Verfassung zahlreicher Verstorbener auf, die zuvor in Pflege waren – zu Hause, im Heim oder auch im Krankenhaus. Rund jeder fünfte Pflegebedürftige, so die vorläufige Schätzung der Gerichtsmediziner, litten unter Scheuerwunden, die oftmals bis auf die Knochen gingen. Davon alarmiert, nahm Püschel die Arbeit an einer umfassenden Studie auf. Deren endgültiges Ergebnis liegt noch nicht vor.

Fest steht laut Katharina Weyandt vom Diakonischen Werk indes bereits, daß Dekubitus, so die Bezeichnung für die Erkrankung, bei fachgerechter Pflege nicht vorkommen darf. Daß dennoch zahlreiche Menschen unter vom langen Liegen verursachten Wunden leiden, habe eine ganze Reihe von Ursachen, erklärt Jens Stappenbeck, Geschäftsführer der „Hamburgischen Pflegegesellschaft“: Zum einen zahlten die Pflegekassen zuwenig für die Versorgung der PatientInnen. Bettlägerige Menschen im Endstadium einer schweren Krankheit beispielsweise müßten alle zwei Stunden umgebettet werden, damit sie sich nicht wundliegen. Die Kassen tragen aber nur die Kosten für drei Mal am Tag. Auch würden unerläßliche Hilfsmittel nicht finanziert. So gibt es spezielle Wechseldruckmatratzen. Die aber müssen einzeln bei der Kasse beantragt werden – oft vergeblich.

Diese Rahmenbedingungen werden durch die mangelhafte Qualifikation einiger PflegerInnen verschärft. Zur Hälfte muß das Personal eines Pflegedienstes aus examinierten Kräften bestehen; viele Arbeiten werden aber von StudentInnen oder anderen ungeschulten Kräften übernommen.

Und nicht alle PatientInnen werden von professionellen Diensten betreut. Während rund 15.000 Menschen in Hamburg in Pflegeheimen leben, wohnen 50.000 in den eigenen vier Wänden. Um sie kümmern sich zumeist Angehörige. Für die gibt es zwar Kurse, in denen sie sachgerechte Pflege lernen können. Deren Besuch ist jedoch freiwillig.

Die Gesundheitsbehörde will laut ihrem Sprecher Stefan Marks nun zunächst das Vorliegen der endgültigen Ergebnisse abwarten. Dann soll geprüft werden, welche Fehler im Pflegesystem vorliegen. Über die Finanzierung von mehr Personal für die von der Stadt unterstützten Pflegedienste wird das Amt mit den indes nicht verhandeln. Die „Hamburgische Pflegegesellschaft“ hatte vor einigen Wochen 5,5 Prozent mehr Geld dafür gefordert, die Gesundheitsbehörde im Gegenzug eine Erhöhung des Etats um 1,5 Prozent angeboten. Die Verhandlungen platzten Mitte Dezember – als der Behörde längst bekannt war, daß viele bettlägeriger Menschen unter Dekubitis leiden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen