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Wenn alle wenig über vieles wissen

■ Weil in einem „Tagesthemen“-Beitrag die PDS versehentlich mit Naziliedgut kommentiert wurde, muß sich Moderator Ulrich Wickert in seltsamen Erklärungen winden. Die PDS empört das noch mehr

Berlin (taz) – Seine Schmankerl plaziert „Tagesthemen“-Moderator Ulrich Wickert gewöhnlich vor dem Wetterbericht. Doch als das Wetter am Sonntag abend vorbei war, kam unversehens doch noch etwas. Statt den Zuschauern einen angenehmen Abend zu wünschen, hob Wickert zu tiefschürfender Betrachtung an. „Man weiß wenig über vieles“, sinnierte er, „und so geht dann die tiefere Kenntnis von Geschichte und Kultur verloren.“ Dies werde eben besonders schwierig, wenn in Westdeutschland anderes gelernt werde als in der DDR. So sei es zu erklären, daß ein „Tagesthemen“-Autor am Sonnabend ein Zitat verwendet habe, daß er in der DDR als Antifa-Marsch gelernt habe. Das aber „fast identisch“ mit den ersten Zeilen des Horst-Wessel-Liedes der Nazis sei.

Mit Wickerts Ausführung, so hoffte es die ARD, sollte der Streit um einen ORB-Bericht für die „Tagesthemen“ beendet sein. Darin ging es um die Beisetzung der in der DDR als Freiheitskämpferin verehrten Tamara Bunke in Kuba. Auch PDS-Chef Lothar Bisky hatte an den Feierlichkeiten teilgenommen. „Für ihn war es wohl fast wie in alten Tagen – ,Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen‘“, kommentierte der Autor. Verwunderte und empörte Zuschauer riefen an. Die PDS, die Bisky in die Nähe der Nazis gerückt sah, verlangte eine Entschuldigung.

Und nun auch noch die Wickert-Moderation. PDS-Sprecher Hanno Harnisch ist erbost. Das sei gar keine Entschuldigung, obwohl ihm die ARD dies versprochen habe. Statt dessen sei – „nach dem Wetter versteckt“ – diese „untaugliche Exkulpierung des dummen Ostlers“ als Erklärung herangezogen worden: „Wickertsch verquast!“

Ganz anders der ORB. Dessen Ressortleiter Aktuelles, Jost Bösenberg, sieht den Fehler bei der PDS. Sie sei einem Irrtum aufgesessen. „Die Fahnen hoch, die Reihen fest geschlossen“ stamme nicht aus dem NS-Lied, sondern aus dem Antifa-Marsch der Arbeiterbewegung. Deswegen entbehrten die Vorwürfe „jeder Grundlage“.

PDS-Mann Harnisch räumt ein, er habe nun auch herausgefunden, daß Kommunisten die Melodie mit anderem Text in den 20er Jahren benutzt hätten. Jedoch sei es in der DDR nie gesungen worden – was die Wickert-Theorie zum Einstürzen bringen würde. Den ORB-Redaktionsleiter Bösenberg bezichtigt Harnisch der „unverschämten Lüge“. Am Telefon habe der ihm auch noch erklärt, der Autor des Berichts habe das Antifa-Lied als Pionier in der DDR gesungen und daher in Erinnerung gehabt. „Dieses Lied auch nur in einer FDJ-Singegruppe zu summen, hätte jeder Lehrerin Haft in Bautzen eingebracht.“

Der Chef der Hamburger „Tagesthemen“-Redaktion stöhnte gestern, das Ganze sei ein „komplexer und vertrakter Fall“. Daß es zwei ähnliche Lieder gibt, sieht er freilich nur als Erklärung, aber nicht als Taktik, sich rauszureden. „Kein Mensch hat das am Samstag abend mit dem Antifa-Lied in Verbindung gebracht.“ Georg Löwisch

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