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Abstraktionskünstler von hohen Gnaden

Zum Dichter der DDR-Nationalhymne und durch ihn hindurch. Jens-Fietje Dwars hat eine voluminöse Biographie über Johannes R. Becher geschrieben. Statt Neugier hat eine Portion Trotz das Bild vom Vielschreiber und Morphiumspritzer Becher geformt  ■ Von Peter Walther

Der erste Kulturminister und Texter der Nationalhymne der DDR war ein Mörder, ein haltloser Morphinist, zeitlebens suizidgefährdet und ein notorischer Lügner. So ließe sich die Biographie des Dichters Johannes R. Becher zusammenfassen. Mit gleichem Recht könnte man aber auch Harry Graf Kessler zitieren, man werde Becher „bald den größten Lyriker unserer Zeit nennen“, oder Walter Ulbricht, der in unfreiwilliger Komik verkündete, die Hauptstraße der neueren deutschen Dichtung führe von Goethe und Hölderlin zu Johannes R. Becher und durch ihn hindurch.

Lange Zeit waren die Fronten im Blick auf Becher klar: Für die einen war er der talentierte Lyriker, der seine expressionistischen Anfänge zugunsten einer Parteikarriere verleugnet hat („Eine herrliche Flamme erlosch und wurde zur Laterne der Partei“), die anderen machten ihn trotz seiner mit Herkunft und Jugend entschuldigten Verfehlungen zum Staatsdichter und Namensgeber von Schulen, Straßen und Festwochen. Becher selbst bat, die kompromittierende Wirklichkeit verdrängend, in einem Testamentsentwurf darum, „zu berücksichtigen, daß ich zunächst und vor allem ein deutscher DICHTER war“.

Natürlich wäre jede Becher- Biographie, die sich daran hielte, verfehlt. Auch in dem Buch des Jenaer Germanisten Jens-Fietje Dwars steht nicht der Selbstanspruch Bechers als Dichter im Mittelpunkt, sondern dessen geistige Entwicklung in den wechselnden historischen Etappen und politischen Milieus. Dwars erzählt von der autoritären Erziehung und der lieblosen Beziehung zum Vater, einem hohen Juristen in München, der der junge Becher ausgesetzt war. Der Gymnasiast, der schwärmerische Briefe an Richard Dehmel schreibt, verliebt sich in eine sieben Jahre ältere Zigarrenverkäuferin. Das Paar beschließt, der verschwörerischen Beziehung ein Ende zu setzen, und, nach dem Vorbild Kleists und Henriette Vogels, gemeinsam in den Tod zu gehen. Becher, der das Vorhaben knapp überlebt, wird vom Vorwurf des Mordes an seiner Freundin freigesprochen. Zeugnisse aus jener Zeit zeichnen das Bild eines begabten, für das „Schöne und Edle“ empfänglichen, aber leichtfertigen und nervösen Schülers.

Der Pubertierende spürt wie viele seiner Altersgenossen die Berufung zum Dichter und bildet in jener Zeit eine Eigenart aus, die er zeitlebens bewahren wird: das Vielschreiben. Mehr als fünfhundert Gedichte entstehen in kurzer Zeit. Dwars beschreibt die Stationen der Abnablung vom Elternhaus: Studium in Berlin, Schwanken zwischen Kriegsgegnerschaft und -begeisterung, lyrischer Protest gegen soziale Ungerechtigkeit, Hochstapeleien, das Hinabgleiten in die Sucht, 30 Spritzen Morphium am Tag, die Fürsorge Harry Graf Kesslers, der den expressionistischen Lyriker für ein „großes, geniales, wirkungssüchtiges Kind“ hält.

Vor allem war Becher damals schon ein Abstraktionskünstler von hohen Gnaden. „Wir haben genug von euch, ihr Mäzene!“ schreibt er im Prosaband „Vorwärts, du rote Front!“ und notiert am Erscheinungstag des Buchs in sein Diarium, Kessler hätte ihm erfreulicherweise erneut eine Rente von monatlich 200 Mark angeboten, „daß ich in meinen Arbeiten ein wenig freier bin“. Bechers Auffassungen radikalisieren sich. Er nähert sich, nach einem katholisch inspirierten Intermezzo, den Kommunisten an, stürzt sich in die Parteiarbeit, beteiligt sich an der Gründung des „Bunds proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ und wird dessen Vorsitzender und gibt die Zeitschrift Linkskurve heraus.

1928 soll Becher unter dem Vorwurf, in seinem Roman „Levisite“ einen gewaltsamen Umsturz propagiert zu haben, angeklagt werden. Der geballte Protest von Intellektuellen vor allem aus dem verschmähten bürgerlichen Lager vereitelte den Prozeß. Becher war über Nacht berühmt geworden. Ausführlich beschreibt Dwars Bechers gefährdete Stellung im Moskauer Exil, wo jeder jeden denunzierte, um die eigene Haut zu retten. Allein der Wille, linientreu zu bleiben, half nicht viel, da es keine wirkliche Linie gab. Deutlich wurde das auf der Feier zum fünfzigsten Geburtstag Bechers in Moskau, kurz nach dem Hitler- Stalin-Pakt, als – mit Rücksicht auf die Herren von der deutschen Botschaft, die im Festsaal anwesend waren – auf antifaschistische Propaganda verzichtet werden mußte. Ebenso eingehend wird Bechers Rolle bei der Reorganisation des Kulturbetriebs in Berlin und der SBZ nach dem Ende des Dritten Reichs beleuchtet, sein ehrliches Bemühen um Ausgleich zwischen Ost und West und – nach dem Eingeständnis, als Funktionär gescheitert zu sein – seine Rückbesinnung auf die Dichtung in den letzten Jahren seines Lebens.

Was aber hat das Buch über die respektable Kompilationsleistung des Autors hinaus zu bieten? Erschließt es womöglich einen Horizont, der Becher und jene, die den gleichen Weg wie der Dichter gegangen sind, dem Verständnis der Nachgeborenen näherbringt? Leider ist davon nur in Ansätzen zu lesen, etwa wenn Dwars den Stellenwert von Bechers Nietzsche-Lektüre für das Werk des Lyrikers auslotet, wenn er Leben und Werk von Becher mit denen von Zeitgenossen wie Jünger und Benn in Beziehung setzt und nach dem Nationalismus Bechers fragt. Auch der Hinweis auf des Dichters „religiöse Hingebung an ein göttlich Erscheinendes, eine Macht, die Massen auf die Knie zwingt, um sie aufzurichten im Dienst an einer gemeinschaftsstiftenden Idee“, gibt eine Ahnung davon, welchen Ertrag die Beschäftigung mit der Biographie Bechers hätte erbringen können.

Statt dessen entsteht der Eindruck, daß nicht Neugier, sondern Trotz die Feder des Autors geführt habe. Der historische Stoff dient oft nur als Projektionsfläche, um ein persönliches Unbehagen am Verlauf der jüngsten Geschichte auszudrücken. Dwars unterzieht sich der Mühe, das von moralisierenden Feuilletonisten verzerrte Bild vom untergegangenen Realsozialismus wieder ins rechte Lot zu bringen.

In einer solchen ergebnisorientierten historischen Bestandsaufnahme, die nur sieht, was sie sehen will, wird „Stalinismus“ ganz nebenbei als der „Wille zu großer Politik, zur Garantie von Frieden und Sicherheit aus Verantwortung für die Kultur und das Leben der Völker“ gedeutet und der Marshallplan auf den gelungenen Versuch reduziert, eine Überproduktionskrise von den USA abzuwehren. Zur Ehrenrettung Lenins weiß Dwars anzuführen, der Revolutionär habe zwar nach außen Gewalt gegen Gewalt gesetzt, im Innern jedoch „Kultur, Toleranz, Zurückhaltung“ entwickeln wollen. Freilich ein zynisches Argument, weil nicht nur Lenin, sondern auch alle seine Nachfolger die Grenze zwischen „außen und innen“ von Fall zu Fall selbst definiert haben, mit oftmals tödlichen Folgen für die Betroffenen. Ein letztes Beispiel aus der Rubrik „Geschichte – einmal ganz anders gesehen“: Obwohl Adenauer und Ulbricht, wie der Autor schreibt, „Demokratie und Gerechtigkeit verhöhnten, gab der Erfolg ihnen recht“: Adenauer errang 1957 die absolute Mehrheit im Bundestag, und Ulbricht brachte die „nach Polen und Ungarn eben nicht mehr zu erwartenden 99 Prozent hinter sich“.

Leider bleibt auch das Becher- Bild des Autors von solchen privaten Revisionsbemühungen nicht verschont – es überwiegt der Hang zur Apologie. Wenn Becher in Moskau von „freigewordenen Menschen“ und „Gesichter(n): maskenlos, nichts zu verbergen“ dichtet, dann heißt es bei Dwars dialektisch, er verfahre „auf seine Art rücksichtslos gegenüber der realen Regierungspraxis“. Nach über 800 Seiten Lektüre bleibt: Der menschlichen Tragik Bechers, eines Dichters, der viel Belangloses, mitunter Peinliches, aber auch gute Gedichte geschrieben hat, eines Kulturfunktionärs, ohne dessen Wirken in der frühen DDR Dummheit und Intoleranz sich noch schneller ausgebreitet hätten, einem solchen Leben ist mit der vorliegenden Mixtur aus Einfühlung und einem sich selbst überlistenden Scharfsinn nicht beizukommen.

Jens-Fietje Dwars: „Abgrund des Widerspruchs. Das Leben des Johannes R. Becher“. Aufbau Verlag, Berlin 1998, 861 S., 98 DM

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