piwik no script img

Assads Familiendiktatur

Der Schlüssel zu einem umfassenden Frieden im Nahen Osten liegt in Syrien. Von Hafis al-Assads Staat geht die unmittelbarste Bedrohung Israels aus. Zankapfel zwischen beiden Ländern sind die von Israel besetzten Golanhöhen. Vor knapp vier Jahren stand man schon kurz vor einer Vereinbarung über die Rückgabe der strategisch wichtigen Berge. Doch seit der Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Rabins liegen die Verhandlungen offiziell abermals auf Eis. Trotzdem könnte ein Friedensvertra greifbarer sein, als das militante Vokabular aus Damaskus vermuten läßt. Ein Lagebericht  ■ von Thomas Dreger

Der Raum ist mit orientalischer Liebe zum Bunten dekoriert: Keramiktiere unterschiedlicher Gattungen, Plastikblumen und neben Familienfotos ein Fernsehapparat. Abends in einem Wohnzimmer eines Haushalts des gehobenen Mittelstands in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Auf dem Bildschirm ist ein Sonnenuntergang zu sehen und ein Paar, das sich tief in die Augen schaut. Er fragt: „Irene, would you marry me?“

Die junge Frau muß die Antwort schuldig bleiben. Durch einen Druck auf die Fernbedienung findet die Romanze ein jähes Ende. Statt dessen halten glückliche Menschen Getränkedosen in die Kamera. Dazu singen sie auf Hebräisch etwas von der großen Erfrischung.

Stolz zappt Familienoberhaupt Abdallah durch die Programme. Seit er auf dem Dach eine Satellitenschüssel installiert hat, empfängt die Familie über zweihundert Sender. Gleich drei israelische Stationen hat Abdallah einprogrammiert. „Die israelischen Sender bringen neue Spielfilme aus den USA“, erläutert der Ingenieur. „Die sind tolerant. Im syrischen Fernsehen laufen nur alte Schinken.“

Noch vor kurzem hätten Syrer, die israelische TV-Programme schauen, Probleme mit den Behörden bekommen. Offiziell gibt es in Syrien nur zwei Fernsehkanäle. Die senden vor allem Lobeshymnen auf den Präsidenten Hafis al-Assad. Doch seit vier Jahren sind Satellitenempfangsanlagen erhältlich. Die syrische Führung toleriert die Gewohnheit ihrer Bürger, ausländische Fernsehprogramme zu schauen – auch israelische. Formal befinden sich Israel und Syrien seit einem halben Jahrhundert im Kriegszustand. Aus Regierungssicht ist das Programm aus Jerusalem ein Feindsender. Abdallah denkt darüber ganz anders: „So feindlich sind die Israelis nicht. Wir sind im Grunde genommen Cousins, stammen vom gleichen Vorfahren ab, Abraham.“

Abdallah wurde vor 57 Jahren als Sohn syrischer Eltern in Jerusalem geboren. Als dort 1948 ein jüdischer Staat gegründet wurde, gingen sie zurück in nach Damaskus. Der Vater von vier Kindern hofft dennoch auf einen baldigen Friedensschluß zwischen Israel und Syrien: „Damit endlich Geld in das Land kommt und wir hier leben können wie in Europa.“

Abdallah hat sich seine eigenen Gedanken gemacht, warum Menschen in Israel ein besseres Leben haben als in Syrien: „Israel ist dank der Milliarden Dollar, die jährlich in das Land gesteckt werden, so weit gekommen. Aber hier investiert kein Mensch. Weil wir von Dieben umlagert sind. Ich glaube nicht, daß es in Israel so viele korrupte Personen gibt wie hier.“

Seit der syrische Präsident Hafis al-Assad 1971 in einem euphemistisch „Kurskorrektur“ genannten Putsch die Macht übernahm, ist Syrien zur Familiendiktatur verkommen. Chancen zum Aufstieg hat nur, wer sich zum Herrscher bekennt. Das bißchen Industrie des Landes haben sich die mächtigsten Familien unter den Nagel gerissen.

1991 begann die Regierung den Privatsektor zu fördern. Ein Resultat davon sind Läden, in denen Importwaren angeboten werden, die offiziell nicht nach Syrien importiert werden: Satellitenantennen, französischer Rotwein, Pornofilme... Die Ladeninhaber gehören zu jenem kleinen Kreis der Oberschicht, der seinen eigenen Handel mit den Behörden macht. Ihre Kunden auch. „Für den, der es sich leisten kann, gibt es hier alles“, erklärt ein Händler. Verschmitzt grinsend holt er ein Stück bulgarischen Schafskäse und eine Flasche Johnny Walker unter der Kühltheke hervor: „Die Leute kaufen ausländische Produkte, weil sie glauben, alles Syrische sei schlecht.“

Trotz Laisser-faire im Geschäftsleben: Noch immer kann auch die leiseste Kritik an Syriens Herrscherclique ins Gefängnis führen. Fünfzehn verschiedene Geheimdienste leistet sich Assad, um oppositionelle Regungen im Keim zu ersticken. Mit „Hunderten“ gibt Amnesty International die Zahl der politischen Gefangenen an, registriert allerdings eine gewisse Liberalisierung. Assad leistet sich mittlerweile großzügig Amnestien. So durfte im Juni der Generalsekretär der illegalen Kommunistischen Partei Syriens, Riad at-Turk, das Gefängnis verlassen. Nach achtzehn Jahren Haft ohne Prozeß und ohne je einen Anwalt gesehen zu haben. Heute lebt der herzkranke Diabetiker in Damaskus und hat absolutes Politikverbot.

Dennoch ist das Mißtrauen der Bevölkerung gegen die Staatsführung allgegenwärtig. Gerüchte gehen um, von Nummernkonten in der Schweiz, auf die die Herrschenden Millionensummen transferieren, vor allem aus dem Ölgeschäft. 250.000 Barrel Öl werden täglich aus der syrischen Erde gepumpt; zwei Milliarden US-Dollar verdient der Staat jährlich daran. So weit die offiziellen Angaben. Syrische Geschäftsleute glauben, daß die wahre Fördermenge erheblich größer ist, ebenso die Einnahmen. Das Geld teile sich die Familie Assad mit ihren Günstlingen.

In einem Bürogebäude im Zentrum von Damaskus residiert einer der Profiteure des Systems. Muhammad Cheir al-Wadi ist Chefredakteur der Tageszeitung Tischrin. Wadi sitzt hinter einem fast leeren Schreibtisch in einem riesigen Büro.

Beim Gespräch mit Wadi beschleicht einen das Gefühl, hinter seiner Bürotür beginne eine andere Welt. Mit steifem Blick unter einem Assad-Porträt sitzend, behauptet der Journalist, vor der publizistischen Konkurrenz via Satellit aus Israel habe er keine Angst: Entscheidend sei, „daß die syrischen Bürger die Politik Israels nicht nach israelischen Erklärungen beurteilen, sondern anhand von Fakten“. Die syrischen Bürger wüßten genau, „daß sie von den israelischen Medien betrogen werden“. Einmal würde Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu darin erklären, er wolle unbedingt Frieden mit Syrien, dann würde er wieder sagen, Israel werde sich niemals vom Golan zurückziehen. Für die syrische Bevölkerung sei das inakzeptabel.

Der Golan, ein hundert Kilometer langer und zwanzig Kilometer breiter Gebirgszug zwischen Syrien, Israel, Libanon und Jordanien, ist der Hauptkonfliktpunkt bei den syrisch-israelischen Verhandlungen. Im Sechstagekrieg eroberten 1967 israelische Truppen das Gebiet. Assad war damals Verteidigungsminister. Die Niederlage versteht er bis heute als persönliche Schmach. 1973, im Jom-Kippur-Krieg, gelang es syrischen Truppen kurzfristig, weite Teile der Berge zurückzuerobern. Das Ergebnis dieses Krieges gilt in Syrien als Sieg. Ein Vierteljahrhundert nach dem letzten Krieg gegen Israel sagen heute Syrer hinter vorgehaltener Hand, ihnen sei der Golan egal, der private Kreuzzug ihres Präsidenten zur Wiedererlangung des Gebirgszugs schade vor allem der Bevölkerung.

Doch Assad hat es geschafft, jede organisierte Opposition zu zerstören. Anhänger illegaler Menschenrechtsorganisationen verschwinden oft spurlos. Besonders hart geht die Staatsführung gegen Verfechter eines politischen Islam vor. Zwischen 10.000 und 25.000 Menschen starben, als syrische Truppen 1982 in der Stadt Hama einen von den Muslimbrüdern initiierten Aufstand niedermetzelten. Die Islamisten hatten die Stadt zur „befreiten Zone“ erklärt. Eine Woche lang riegelten Truppen den Großraum Hama ab. Dann wurde die Stadt bombardiert und anschließend Haus für Haus durchsucht. Reden will darüber heute niemand. Auch nicht der für Journalisten obligatorische Begleiter aus dem Informationsministerium – obwohl er selbst aus Hama stammt.

Dennoch gibt es unter der syrischen Bevölkerung noch immer Sympathien für die islamistische Ideologie. „Das hier ist kein islamisches Land“, schimpft ein Taxifahrer. „Die Staatsführung behauptet, sie achte den Islam. Aber im Radio wird Popmusik gespielt, und im Fernsehen sieht man halbnackte Frauen.“ Auf die Frage, ob es in Syrien noch islamistische Organisationen gebe, macht der Fahrer eine Handbewegung, die entweder ins Gefängnis weisen soll oder direkt unter die Erde. Nur an einigen Moscheen gebe es noch „Gelehrte, die den wahren Islam predigten“. Aber: „Das sind Leute, die sich nicht in die Politik einmischen.“

Wohlweislich. Es gab Zeiten, da wurden Syrer, die durch allzugroße Frömmigkeit auffielen, noch vor den Moscheen verhaftet. Heute beschränkt sich der Geheimdienst darauf, die Predigten zu kontrollieren. Besonders beim Freitagsgebet ist Lobhudelei auf den Präsidenten obligatorisch. Als sich ein Imam in seiner Moschee im Damaszener Nobelstadtteil Abu Rumani weigerte, neben Gott und den Propheten Mohammed auch Assad zu preisen, wurde er in einen Armeleutestadtteil zwangsversetzt.

Dieses Risiko geht Ahmad Kiftaru nicht ein. Seit 1962 ist der mittlerweile 83jährige Mufti von Syrien, religiöses Oberhaupt der sunnitischen Bevölkerungsmehrheit. Er hat sich in allen politischen Verhältnissen durchgewurschtelt und es zu einem ansehnlichen Grundbesitz vor den Toren von Damaskus gebracht. Als Preis nimmt er es mit der Wahrheit nicht so genau: „In Syrien gibt es keine islamistische Bewegung, und es hat auch nie eine gegeben“, sagt er. Dann folgt eine Lobeshymne auf den Präsidenten und dessen Verdienste um den Islam.

Warum diese im ganzen Land allgegenwärtige Heuchelei? Die Antwort auf diese Frage gibt es nur unter dem Siegel absoluter Verschwiegenheit von einer alten Syrerin, die bis zum Tod ihres Mannes Zugang zu Regierungskreisen hatte: Von der Ideologie der im Namen der arabischen Wiedergeburt herrschenden Baath-Partei habe sich „auch der letzte Rest verflüchtigt“, sagt die einst überzeugte arabische Nationalistin. Inzwischen gehe es den Machthabern nur noch um das nackte Überleben. Um das zu gewährleisten, hätten sie unter Assad Wichtiges dazugelernt: „Zu lügen, ohne es selbst zu bemerken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen