: Ein steinernes Denkmal für van der Lubbe
Heute wäre Marinus van der Lubbe 90 Jahre alt geworden. Die Stadt Leipzig gedenkt des Niederländers, den die Nazis hinrichten ließen. Sie beschuldigten ihn, er habe im Februar 1933 den Berliner Reichstag angezündet ■ Von Nick Reimar
Leipziger Südfriedhof, achte Abteilung, Reihe E, Grabnummer 30 – vor 65 Jahren wurden hier die sterblichen Überreste von Marinus van der Lubbe verscharrt. Der junge holländische Anarchist war am 27. Februar 1933 im brennenden Reichstag verhaftet, als Brandstifter desselben zum Tode verurteilt und mit dem Fallbeil exekutiert wurden. Heute soll seiner auf dem Südfriedhof gedacht werden: Die Honoratioren werden vom Gesandten der Niederländischen Botschaft, Gerard Kersten, angeführt. Zum 90. Geburtstag van der Lubbes werden Reden gehalten und ein Gedenkstein enthüllt.
Van der Lubbe verdankt diesen Gedenkstein einem deutschen Gericht. In das Gebäude, in dem er abgeurteilt wurde, werden nach einigen Umbauten ab 2002 die obersten deutschen Verwaltungsrichter einziehen. Als die Umzugspläne debattiert wurden, hieß es, eine Hausanschrift „Dimitroffplatz“ sei den hohen Juristen nicht zuzumuten. Was bei der Leipziger CDU prompt „Handlungsbedarf“ hervorrief. „Wir haben uns damals intensiv mit Dimitroff befaßt, um Argumente gegen eine Umbenennung zu sammeln“, sagt PDS-Stadtchef Dietmar Pellmann, selbst Historiker an der Uni Leipzig. Pellmanns Arbeitsfeld ist aber die Geschichte der DDR-Landwirtschaft.
Bis heute sind die Hintergründe des Reichstagsbrandes nicht aufgeklärt. „Erst einmal muß der bolschewistische Revolutionsversuch aufflammen“, notierte Goebbels in sein Tagebuch am 31. Januar 1933, einen Tag nach Hitlers Machtergreifung. Als der Reichstag 27 Tage später gegen 21 Uhr in Flammen aufging, meinte Goebbels: „Ein Geschenk des Himmels“. Zwar gestand van der Lubbe kurz nach seiner Festnahme, das Feuer gelegt zu haben – und zwar allein. Schon wenige Stunden später verhafteten aber die Nazis, die eine kommunistische Verschwörung angezettelt sahen, 5.000 KPD- und SPD-Mitglieder. Am nächsten Tag wurden mit den „Notverordnungen zum Schutz von Volk und Staat“ alle bürgerlichen Grundrechte außer Kraft gesetzt, und zwar – wie sich später zeigen sollte – für die gesamte Dauer des Dritten Reiches. Neben van der Lubbe wurde auch der spätere Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, Georgi Dimitroff, angeklagt. Allerdings konnte das Gericht keinerlei Beweise für seine Mittäterschaft beibringen und sprach Dimitroff, trotz der Überzeugung, daß einer allein das Feuer nicht gelegt haben könne, frei.
Zwar konnte die Leipziger PDS auch mittels Studium des Forschungsstandes zum Reichstagsbrand die Umbenennung des Dimitroffplatzes nicht verhindern. Dafür starteten sie im Frühsommer 1997 den Antrag, van der Lubbe endlich ein Mahnmal zu setzen. „Und im Herbst herrschte dann fast Einstimmigkeit im Stadtparlament“, sagt Pellmann. Grundlage für die heutige Denkmalsweihe, am 90. Geburtstag des Gemordeten, „ist nicht die historische Bewertung der politischen Figur van der Lubbes“, sagt Stadtsprecherin Kerstin Kirmes. In den Historikerstreit könne man sich nicht einmischen. „Unsere Handlungsgrundlage ist das Gräbergesetz.“ Nach diesem müssen Ruhestätten von NS-Justizopfern erhalten und gepflegt werden.
In der Tat wird seit den 60er Jahren über van der Lubbes Rolle gestritten. Fritz Tobias, damals Ministerialrat im niedersächsischen Verfassungsschutz, veröffentlichte unter anderem im Spiegel erstmals die „Alleintäterthese“ van der Lubbes. Als Quellen standen ihm vor allem die Handakten eines Verteidigers im Reichstagsbrandprozeß zur Verfügung, der auch NSDAP-Mitglied war. Vor allem die materialistische Geschichtsschreibung befürwortet die These, daß weder der junge Holländer Alleintäter, noch das Feuer Werk einer kommunistischen Verschwörerbande war. Vielmehr hätten die Nazis den Brand selbst entfacht, um so Gegner des Dritten Reiches auszuschalten. Van der Lubbe, Anhänger des Spartakus-Kreises, einer radikalen Unterorganisation der anarcho-syndikalistischen „Gruppe Internationaler Kommunisten“, war als Maurerlehrling einmal ein Kalksack über den Kopf gestülpt worden, was zu seiner weitgehenden Erblindung führte. Schon deshalb könne er nicht Alleintäter gewesen sein.
„Es ist vollkommen eindeutig“, erklärte Hans Mommsen gegenüber der taz, „daß die von der DDR transportierte alte Legende erledigt ist. Natürlich ist die Einzeltäterschaft klar“, meint er. Dem trat der Hofer-Schüler Alexander Bahar entschieden entgegen. Vor einem Jahr dokumentierte er zusammen mit Wilfried Kugel in einem taz-Dossier den Fund einer Reihe von Originaldokumenten. Diese stützen die These, daß die Nazis den Brand selbst gelegt und van der Lubbe nur mißbraucht haben. So heftig die Debatte auch geführt wird, klar scheint mittlerweile auch: Van der Lubbe nahm die Wahrheit dorthin mit, wo heute der Gedenkstein enthüllt wird: in sein Grab.
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