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„Das größte Projekt nach dem Regierungsumzug“

Auf einer Industriebrache im fernen Südosten Berlins soll ein „deutsches Silicon Valley“ entstehen. Doch Wissenschaftler fürchten eine „völlige Katastrophe“. Einstweilen erweist sich in Adlershof schon der Umbau einer Straße als „ingenieurtechnische Herausforderung“  ■ Von Ralph Bollmann

Gebirge aus Stahl und Glas neben Plattenbauten. Das futuristische Ei der Elektronenschleuder „Bessy II“ neben Baracken aus DDR-Zeiten. Das „Innovationszentrum Optik“ mit seiner bunten, geschwungenen Fassade gleich neben einem pittoresk verfallenen Altbau mit abblätterndem Putz. Zwischen allem viel Ödland und Brache, bei Regen versinkt das Areal mit teils unbefestigten Gehwegen im Schlamm.

Adlershof ist ein Ort der Kontraste. In den 30er Jahren Standort der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, zu DDR-Zeiten Sitz von Instituten der Akademie der Wissenschaften, des Fernsehfunks und des Stasi-Wachbataillons Felix Dserschinski.

Diese Industriebrache soll in eine Stadt der Wissenschaft verwandelt werden. „Das größte Vorhaben nach dem Regierungsumzug“, „ein deutsches Silicon Valley“: Politiker überbieten sich dabei, die Dimensionen des Projekts zu beschreiben.

In der Praxis gerät schon die Erneuerung einer Straße zur „ingenieurtechnischen Herausforderung“, wie das Bauschild verrät: Die Adlershofer Hauptstraße Rudower Chaussee, derzeit noch eine zweispurige, geflickte Asphaltpiste, soll sich in einen vierspurigen „Corso“ mit Straßenbahn und Alleen verwandeln.

Bis in Adlershof eine richtige Stadt entsteht, werde es noch 50 Jahre dauern, schätzt selbst Wissenschaftsstaatssekretär Ingolf Hertel. Denn zu einer Stadt gehören auch Wohnungen – und angesichts der entspannten Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt machen sich Investoren derzeit rar.

Was vom Konzept bleibt, ist die Zusammenarbeit von Unternehmen mit universitären und außeruniversitären Instituten. Neu ist daran, daß ein solcher Technologiepark an einem Ort entstehen soll, an dem es ursprünglich weder Industrie- noch Hochschulforschung gab. Einzig die Einrichtungen der einstigen Akademie der Wissenschaften empfahlen das Areal als Standort für die Wissenschaft.

Inzwischen haben sich immerhin rund 300 kleinere Firmen auf dem Gelände niedergelassen, auch wenn die Forschungsabteilung eines potenten Großunternehmens, von der die Adlershof-Planer träumten, noch nicht darunter ist.

Jetzt ist auch das dritte Standbein in Adlershof vertreten: Seit diesem Semester forschen und lehren die Informatiker der Humboldt-Universität auf ihrem neuen Campus. Allerdings nicht im eigenen Gebäude: Weil die Institutsbauten erst zwischen 2003 und 2010 fertig sein sollen, haben sich die Wissenschaftler vorerst im „Wista Business Center“ einquartiert, das eigentlich Anwälte oder Steuerberater beziehen sollten.

Wirklich glücklich sind die Informatiker mit ihren neuen Quartier noch nicht. Die Verantwortlichen hätten bislang „die Infrastruktur fast völlig vernachlässigt“, klagte Institutsdirektor Miroslaw Malek bei der Einweihung. Dozenten und Studenten müßten über Jahre zwischen dem Institut in Adlershof und dem Uni-Hauptgebäude in Mitte pendeln und verlören „jede Woche einige Stunden“. Doch nicht nur solche Alltagsprobleme bereiten dem Professor Sorgen, auch das Gelingen des Gesamtprojekts erscheint ihm nicht gesichert. Nicht alle Technologieparks auf der Welt, warnte Malek, endeten mit „großartigen Erfolgsgeschichten“. Es gebe auch Beispiele für „völlige Katastrophen“. Im Gegensatz zu den gelungenen Projekten in Stanford oder Cambridge, die sich an bestehenden Hochschulstandorten allmählich entwickelten, solle sich die Universität in Adlershof „an einem Industriestandort entwickeln, der selbst nicht entwickelt ist“.

Freude über das neue Domizil, schrieb selbst das offizielle Mitteilungsblatt der Humboldt-Universität, wolle sich „nicht so recht einstellen“. Hauptgrund sei, daß sich die Umzugsphase von sechs auf zwölf Jahre verlängert habe. Die Pharmazie, eigentlich fest für Adlershof eingeplant, wurde inzwischen abgewickelt. Von einem Verwaltungsgebäude und Studentenwohnheimen sei keine Rede mehr – dabei hatte der Senat den Wissenschaftlern mit dem Versprechen, eben einen solch vollständigen Campus aufzubauen, den Umzug schmackhaft gemacht.

Denn die Humboldt-Universität hatte sich mit dem Umzug ihrer Naturwissenschaften vor die Tore der Stadt zunächst überhaupt nicht anfreunden können. Erst als klar wurde, daß es für die Sanierung der ebenso traditionsreichen wie maroden Gebäude in Mitte kein Geld geben würde, gaben die Wissenschaftler ihren Widerstand gegen die Teilung auf.

Der Wissenschaftsrat, ohne dessen Empfehlung Bundeszuschüsse für Hochschulbauten nicht fließen, gab dem Projekt 1997 seinen Segen – allerdings unter Voraussetzungen, die nicht gesichert sind. Der Wunsch der Experten, auch die beiden anderen Berliner Universitäten sollten mit einzelnen Bereichen nach Adlershof umziehen, stößt in der Hauptstadt auf taube Ohren. Schließlich verfügen Freie und Technischen Universität im Westen der Stadt über gut ausgestattete Institutsgebäude. Schon damals erklärte FU-Präsident Johann W. Gerlach, der Wissenschaftsrat träume „an den Berliner Geldrealitäten vorbei“. Das gilt auch für eine andere zentrale Bedingung: Daß es in Berlin auch künftig 85.000 Studienplätze geben wird, davon 12.000 in den teuren Naturwissenschaften, erscheint zweifelhaft.

Als der Berliner Senat vor zwei Jahren die Finanzierung von Adlershof beschloß, speckte er die Kosten von 771 auf 550 Millionen Mark ab und verschob die Fertigstellung der Institute vom Jahr 2004 auf das Jahr 2010. Damit der Umzug angesichts der Berliner Finanznot nicht ganz auf der Strecke bleibt, schufen Wissenschaftsverwaltung, Universität und die Wissenschaftsstandort Adlershof GmbH (Wista) mit der Mietlösung für die Informatik vollendete Tatsachen. Mathematiker und Psychologen sträuben sich noch, sollen aber folgen. Chemiker, Physiker und Biologen, die aufwendige Labore benötigen, dürfen dagegen warten, bis ihre endgültigen Gebäude fertig sind.

Staatssekretär Hertel bleibt optimistisch. „Es wäre traumtänzerisch, warten zu wollen, bis alle gleichzeitig umziehen.“ Schließlich habe auch die Technische Universität München auf ihrem neuen Garchinger Campus nördlich der Stadt klein angefangen.

Am Bauzaun der Rudower Chaussee haben die Adlershof- Planer ein Horaz-Zitat plakatiert: „Des Lebens kurze Spanne verbietet uns, Pläne auf lange Sicht zu machen.“

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