: Wer reich ist, bekommt viel Rabatt
■ Wer Nachwuchs züchtet und verheiratet ist, soll künftig davon auch was haben. Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht schreibt zwar neue Freibeträge vor. Nur leider nützen sie nicht allen Eltern. Schon jetzt hat die Familienförderung in Deutschland Gerechtigkeitslücken.
Gisa Schneider aus Berlin-Neukölln hat nichts von der Kindergelderhöhung zum 1. Januar. „Das geht mir am Hintern vorbei“, sagt die alleinerziehende Mutter, wenn Lafontaine im Fernsehen in die Kamera lächelt und die neuen Leistungen für die Familien lobt. 60 Mark mehr im Monat für zwei Kinder ab Januar!
Das höhere Kindergeld gilt nicht für Schneider, denn sie und ihre Kinder leben von Sozialhilfe. „Für die, die nix haben, gibt es wieder nix“, meint sie. Kindergeld wird auf die Sozialhilfe angerechnet. Unterm Strich bleibt alles beim alten für Gisa Schneider. Auch von künftigen höheren Haushaltsfreibeträgen für Verheiratete, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert, profitiert sie nicht. Erstens ist sie nicht verheiratet, und zweitens zahlt sie sowieso keine Steuern.
Die strukturellen Besonderheiten der Familienförderung in Deutschland sind schuld daran, daß es oft nicht besonders gerecht zugeht, wenn staatliches Geld an Eltern und Kinder verteilt wird. Daran ändert auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil über neue Freibeträge wenig. Mit den neuen Freibeträgen für Familien werden diese unverheirateten und alleinerziehenden Elternteile zwar steuerlich gleichgestellt. Die Gerechtigkeitsprobleme aber dürften sich damit an anderer Stelle noch verschärfen.
Wenn der Gesetzgeber nichts anderes festlegt, dürfen verheiratete Eltern ab dem Jahre 2000 zusätzlich 4.000 Mark Betreuungskosten für das erste Kind und 2.000 Mark für jedes weitere Kind von der Steuer absetzen, so schreibt es das Verfassungsgericht vor. Ab dem Jahre 2002 können sie außerdem noch einen Haushaltsfreibetrag von mindestens 5.600 Mark steuerlich geltend machen.
Die erste Gerechtigkeitsfrage ergibt sich aus der Logik der Steuerermäßigungen. Von den neuen Freibeträgen, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert, profitieren Höchstverdiener in absoluten Summen immer mehr als Niedrigverdiener. Wer keine Steuern zahlt, wie Sozialhilfeempfängerin Gisa Schneider, oder nur sehr wenig Gehalt nach Hause bringt, wird nichts oder nur wenig von den neuen Freibeträgen haben.
Ein verheirateter Spitzenverdiener mit einem Kind und einem Einkommen von 300.000 Mark im Jahr spart rund die Hälfte der Freibeträge tatsächlich an Steuern ein, bekommt also ab dem nächsten Jahr 2.000 Mark, ab dem Jahre 2002 jährlich rund 4.800 Mark von der Steuer geschenkt. Wer im Jahr 50.000 Mark brutto verdient, verheiratet ist und ein Kind hat, kassiert ab dem Jahr 2000 etwa 1.100 Mark mehr, im Jahre 2002 dann rund 3.000 Mark. Niedrigverdiener mit rund 1.500 Mark Einkommen netto im Monat zahlen heute keine Steuern und haben deshalb auch in Zukunft nichts von höheren Freibeträgen. Das gleiche gilt für Arbeitslose, die ebenfalls heute schon keine Steuern zahlen.
Die zweite Gerechtigkeitsfrage stellt sich im Vergleich mit den Alleinerziehenden. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts soll verheiratete Eltern mit Alleinerziehenden gleichstellen. Diese konnten bislang schon 4.000 Mark an Kinderbetreuungskosten und einen Haushaltsfreibetrag von 5.600 Mark im Jahr von der Steuer absetzen. Alleinerziehenden bleiben jetzt nur noch die Nachteile gegenüber Eheleuten. Im Vergleich zu Verheirateten können sie nämlich nicht vom Ehegattensplitting profitieren (siehe unten).
SozialhilfeempfängerInnen sind am schlechtesten dran. Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) spricht sich deshalb schon lange dafür aus, daß das Kindergeld nicht mehr auf die Sozialhilfe angerechnet wird. „Das ist eine zentrale Forderung von uns“, betont VAMV-Geschäftsführerin Peggy Liebisch. Alle Kindergelderhöhungen in der Vergangenheit sind an den ärmsten der Eltern spurlos vorbeigegangen, so auch die jüngste Erhöhung von 220 auf 250 Mark.
Immer wieder erhebt sich auch die Frage, ob Gutverdiener überhaupt Kindergeld bekommen müssen. Derzeit erhalten alle Eltern monatlich 250 Mark pro Kind. Sie können aber auch am Ende des Jahres einen Grundfreibetrag von 6.900 Mark pro Kind von der Steuer abziehen. Das Finanzamt entscheidet automatisch, welche Lösung die günstigere ist. Wer die Abschaffung des Kindergeldes fordert, müßte logischerweise auch für eine Abschaffung dieses Grundfreibetrages sein. Doch dieser soll das Existenzminimum für Kinder steuerlich freistellen – und ist deshalb verfassungsrechtlich nicht antastbar, so warnen die Juristen. Barbara Dribbusch
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