: "Die Zeit ist reif"
■ Forever Blonde: Debbie Harry über das Blondie-Comeback, ihren schweren Stand als Sexsymbol der Siebziger, New York in den Neunzigern und den Mythos um den Club "Studio 54"
taz: Sie gelten als Sexsymbol der späten Siebziger. Wie wichtig war das für den Erfolg der Band?
Debbie Harry: Ich hatte einfach riesiges Glück. Sie dürfen nicht vergessen, daß dieses Sex-Image in der Popkultur lange Zeit verpönt war. Mittlerweile wird es akzeptiert, aber damals wurde ich heftig kritisiert, weil ich nur zu gerne mit meiner Sexualität kokettiert habe.
Und das in den so liberalen Siebzigern?
Ursprünglich waren sie das gar nicht. Gut, zu Beginn des Jahrzehnts gab es schon gewisse Tendenzen in diese Richtung, aber die etablierten Rockkritiker waren doch ausschließlich Männer. Das hat sich glücklicherweise geändert, aber damals mußte die junge Debbie doch ziemlich herbe Kritik einstecken, obwohl sie nur das tat, was bei Mick Jagger oder wem auch immer als selbstverständlich hingenommen wurde. Sie sagten, ich würde meine körperlichen Reize so sehr überbetonen, daß die Musik völlig in den Hintergrund gedrängt würde. Alles würde sich nur um mein Image drehen, und ich würde es bewußt einsetzen. Nehmen Sie Mick Jagger: Wenn er nicht so sexy wäre, wer würde noch zu seinen Konzerten gehen? Und dafür hat ihn nie jemand kritisiert, niemand hat ihn je beschuldigt, daß er das gezielt einsetzen würde.
Stimmt es eigentlich, daß Iggy Pop ständig hinter Ihnen her war?
Ich glaube nicht, daß man das so bezeichnen kann, denn Iggy ist ein echter Gentleman. Ich mag ihn sehr, und uns beide verbindet eine große Zuneigung. David Bowie war da schon aggressiver. Er kam eines Abends auf mich zu und fragte: „Kann ich dich ficken?“, und ich antwortete: „Keine Ahnung, kannst du?“
Was ist dann passiert?
Ich kann mich nicht erinnern, also kann nicht viel gewesen sein... (lacht).
Im Kino lief gerade „Studio 54“, eine Hommage an jene In- Disco, in der Sie auch Stammgast waren...
Nicht wirklich. Ich bin ein paarmal dort gewesen – und das, als die Szene noch in den Kinderschuhen steckte. Wir hingen lieber im Garage Club oder einer der anderen Discos rum, die in Manhattan wie Pilze aus dem Boden schossen. Ehemalige Lagerhallen wurden zu riesigen Gay Clubs ausgebaut, und es gab viel Sex, homosexuellen Sex, viel nackte Haut und Cross- Dressing: Es war eine sehr transsexuelle Atmosphäre. Ich meine, in New York gab es schon immer angesagte Schwulen-Clubs, genau wie in Berlin, Hamburg oder Amsterdam. Aber sie waren nicht so groß. Dieser bot Platz für mehrere hundert Leute.
Also war es anfangs ein reiner Gay-Club?
Ja, aber mit der Zeit bestimmte die Modeszene das Bild – vor allem Models und Designer. Wir waren keine Stammgäste, obwohl wir damals zu den Speerspitzen des Untergrunds zählten und mindestens so chic waren wie Lou Reed. Als wir diesen Status nach vier oder fünf Jahren erreicht hatten, war das Studio 54 bereits vom Jetset vereinnahmt. Die Kreativen hatten sich verabschiedet und den Reichen das Feld überlassen: Es ging nur noch um reine Oberflächlichkeiten wie Unterhaltung, Tanz, Sex und das ewige Sehen und Gesehenwerden. Die Clubs in Downtown hatten da sehr viel mehr zu bieten. Dort gehörten die Leute eher einer künstlerischen Musikszene an.
Heute besitzt das Studio den Ruf eines toleranten Clubs, in dem Mann/Frau jede sexuelle Präferenz ausleben konnte...
Ach Blödsinn, es drehte sich nur ums Geld. Die Elite wollte unter sich sein und allein das Konzept, bestimmte Leute an der Tür abzuweisen, spricht doch wohl für sich. Der ganze Laden war völlig promi- geil. Allein dort eingelassen zu werden, war schon eine stattliche Leistung, denn es war kein Club, in den du einfach so gehen konntest, wenn du gerade Lust dazu hattest. Du mußtest jemanden kennen, der wiederum jemanden kennen mußte, um nicht am Türsteher zu scheitern. Am Eingang wurde entschieden, wie hip du bist. Und egal, wer du warst oder wieviel Geld du auch hattest, die Gefahr, abgelehnt zu werden, war verdammt groß.
Es war also nicht Ihre Welt?
Zu einem gewissen Grad schon, aber wir hatten es einfach nicht nötig, diese Klientel mit allen erdenklichen Mitteln auf uns aufmerksam zu machen. Es gab Leute, die für den Eintritt ins Studio 54 ihre Großmutter verkauft hätten, die unbedingt darin gesehen werden wollten und die sehr darauf bedacht waren, mit welchen Leuten sie zusammen waren. Mir war das Ausgehen nie so wichtig, Dinner mit Soundso, der ganze Scheiß. Manchen Leuten ist ihr Umgang eben wichtiger als alles andere. Das Schöne an New York ist aber, daß es eine riesige Stadt ist, die dir jede Art von Unterhaltung bietet. Man kann sich jeder Szene anschließen, auf die man Lust hast. Und ich bin sehr froh darüber, daß wir Zutritt zu vielen unterschiedlichen Cliquen hatten.
Wie kommt es, daß Sie als Solistin nie aus dem Schatten der Band hervorgetreten sind?
Das beruht auf einer Verknüpfung unglücklicher Umstände. Das Personal der Plattenfirmen wechselt ständig, Labels werden geschlossen oder wechseln zu anderen Firmen, und gerade für mein letztes Solo-Album „Debravation“ konnte sich die Plattenfirma so gar nicht erwärmen. Das passiert vielen Künstlern, ich würde sogar sagen, den meisten.
Haben Sie sich deshalb auf Projekte wie die Jazz Passengers und kleinere Filmrollen konzentriert?
Ja, zumal diese Jazz-Sache etwas völlig Neues für mich war. Ich hatte so etwas nie zuvor gemacht. Es war eine echte Herausforderung, und ich mußte auch nicht mehr die erdrückende Verantwortung eines Solokünstlers tragen. Plötzlich Teil einer völlig anderen Show, einer ganz anderen Musikform zu sein, das habe ich als sehr lehrreich empfunden. Mein Erfahrungshorizont in Sachen Musik und Kunst hat sich dadurch ungemein erweitert. Ich habe gelernt, daß man seine Kreativität auch heute noch in den Dienst der Musik stellen kann, ohne auf die Bedürfnisse des Marktes achten zu müssen.
Wie steht es mit Ihrer Filmkarriere – haben Sie auf diesem Gebiet überhaupt noch Ambitionen?
Von Zeit zu Zeit wird mir eine Rolle angeboten. Im Grunde war die Schauspielerei aber immer nur ein Hobby von mir. Ich hatte nie vor, in Hollywood Fuß zu fassen. Wenn ich einen guten Part spielen kann, würde ich nie nein sagen. Aber ich gehöre nun einmal nicht zur A-Liste...
Woran liegt das?
Weil ich fürs kommerzielle Kino einfach zu viele Ecken und Kanten habe. Außerdem neige ich zu eher kontroversen Interpretationen des Lebens.
Die in den Neunzigern kaum noch anzutreffen sind?
Das würde ich so nicht sagen. Im Schatten des Kommerz-Kinos, das hauptsächlich substanzlosen Einheitsbrei produziert, haben sich viele gute unabhängige Filmemacher und Regisseure etabliert. Und mit denen arbeite ich am liebsten. Ich glaube, daß der unabhängige Film in diesem Land besser entwickelt ist als je zuvor.
Nach ihren Erfahrungen mit „Copland“ hätte ich eine andere Antwort erwartet...
(Sichtlich erregt) So etwas ist mir noch nie passiert! Stellen Sie sich vor: Sie haben meine Rolle einfach rausgeschnitten. Ist das nicht unglaublich? Trotzdem tauchte mein Name im Abspann auf. Ich fand das grotesk – und ungemein frustrierend. Aber so ist das Filmgeschäft. Ich bin nicht die erste, der so etwas passiert, viele Leute leiden darunter. Und wissen Sie, warum? Weil diese neuen Regisseure einfach keinerlei Respekt haben.
Gehen Sie heute noch regelmäßig aus?
Momentan tue ich eigentlich nichts, schon gar nicht regelmäßig – außer arbeiten. Im letzten Sommer, als ich mir eine Pause gegönnt habe, bin ich sehr oft schwimmen gegangen. Das war richtig toll. Und genau so könnte ich mir meine Zukunft vorstellen. Ja, ich werde die Musik aufgeben und mich ganz dem Schwimmen widmen. Oder ich werde Surfer und genieße den endlosen Sommer. Vielleicht mache ich auch eine Perlenfarm auf. Das wär doch prima – ich verbringe den Rest meines Leben in einer Lagune, lege eine Austernkolonie an und lebe vom Verkauf der Perlen. Das hört sich irgendwie traumhaft an.
Könnten Sie sich wirklich vorstellen, New York zu verlassen?
Warum nicht? Diese Stadt ist doch völlig heruntergekommen. Noch vor fünf Jahren wimmelte es hier nur so von Nutten, und das gefiel mir weitaus besser als die ganzen Yuppie-Typen in ihren feinen Anzügen, die heute hier rumlaufen. Wie gräßlich. Auf den Straßen sieht man immer weniger Punks und andere abgedrehte Leute. Die haben sich alle auf die Lower East Side verzogen.
Ein Verdienst von Bürgermeister Rudolph Giuliani?
Ja, der Typ ist grausam, ein echtes Desaster.
Also ein potentieller Präsidentschaftskandidat?
Er versucht es zumindest. Sag mal, kennen Sie „Starship Troopers“? Der Film ist Scheiße, aber er zeichnet ein gutes Bild von unserer Zukunft als einer Art faschistischem Kibbuz. Ich glaube, daß es so laufen wird. Manche Leute mögen noch auf eine Hippie-Zukunft, eine Art Aquarian Age hoffen, aber ich denke, daß sie von Menschen wie Giuliani bestimmt wird. Die Leute sind doch schon alle uniformiert. Erst heute habe ich eine Gruppe Frauen gesehen, die alle das gleiche anhatten. Sie trugen die gleiche Jacke, den gleichen kurzen Rock und hatte alle die gleiche Frisur. Es scheint fast so, als liefe die ganze Welt in ein und demselben Jeans- Outfit herum. Es ist verdammt schade, daß sich die Menschen von anderen Leuten vorschreiben lassen, was sie zu tragen haben.
Woran liegt das? Haben wir unsere Identität zugunsten der globalen Idee aufgegeben?
Ja, vielleicht. Durch die elektronischen Massenmedien ist eine neue Weltkultur entstanden. Gleichzeitig gibt es aber viel zu viele Leute, denen einfach die nötige Bildung fehlt. Überhaupt leben heute mehr Menschen auf diesem Planeten als die Gesamtsumme derer, die in den letzten hunderttausend Jahren gestorben sind. Das ist wahr! Dadurch wird die Qualität der Seelen immer schlechter. Im Falle der Reinkarnation werden sie jetzt wohl zwischen mehreren Körpern aufgeteilt.
Apropos Reinkarnation: Glauben Sie, daß Blondie heute noch eine Chance haben?
Natürlich wird das Popbusineß immer stärker vom Marketing bestimmt. Als Blondie aber haben wir den Vorteil, daß unser Name eine Art Markenzeichen ist. Wir genießen einen gewissen Ruf und müssen nicht mehr für den Durchbruch kämpfen. Wir besitzen eine Geschichte, einen Hintergrund, und das ist cool. Natürlich steckt kein Plan hinter unserem Comeback. Trotzdem glaube ich, daß die Zeit reif für Blondie ist.
Was macht Sie da so sicher? Das gegenwärtige 80er Revival?
Wir sind eigentlich eine Siebziger-Band, denn als die Achtziger richtig ins Rollen kamen, hatten wir uns längst getrennt. Trotzdem besitzt Blondie eine unglaubliche Haltbarkeit. Ich meine, wir sind die Band für das nächste Jahrtausend – wir sind immer noch hier und besser als je zuvor. Druckt das auf ein T-Shirt! Interview: Marcel Anders
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