Trittin und Müller kontern Schröder

■ Umweltminister Trittin und Fraktionssprecherin Müller sind verärgert. Durch ein Zeitungsinterview erfuhren sie vom neuesten Kurswechsel des Kanzlers Schröder. Vom Ziel einer doppelten Staatsbürgerschaft

Bonn (taz) – Wieder einmal haben Bündnis 90 / Die Grünen geglaubt, die Kuh sei vorerst vom Eis – wieder einmal sehen sie sich getäuscht und müssen jetzt um Schadensbegrenzung ringen. Die Halbwertzeit von Absichten des Bundeskanzlers läßt sich inzwischen eher nach Stunden als nach Tagen messen. Noch am Dienstag vormittag hatte Schröder in einem Spitzengespräch der Koalition dem Fraktionsvorstand von Bündnis 90 / Die Grünen zugesichert, er wolle bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts Kurs halten. Fast unmittelbar danach gab er dann der Süddeutschen Zeitung ein Interview, dessen Inhalt dem Vernehmen nach sogar Regierungssprecher Uwe Karsten Heye überrascht hat.

Die doppelte Staatsbürgerschaft will der Kanzler nun nur noch „mit deutlichen Einschränkungen“ akzeptieren. Sie solle lediglich zeitlich befristet in Kauf genommen werden. Das Optionsmodell der FDP, demzufolge sich Jugendliche in einem bestimmten Alter für nur eine Staatsbürgerschaft entscheiden müssen, könne „auf Erwachsene übertragen“ werden. Spiel, Satz und Sieg für die Opposition?

Ganz sicher jedenfalls Ärger und Entsetzen beim kleineren Koalitionspartner. „Ich finde, der Kanzler war sehr vorschnell. Sorgfalt vor Schnelligkeit – das gilt auch für den Bundeskanzler. Ich sehe das Optionsmodell nicht als Kompromiß“, sagt Fraktionschefin Kerstin Müller. Eine Mitarbeiterin der Fraktion wird noch deutlicher: „Gibt's da eigentlich noch eine Strategie oder bollert jeder einfach so los?“ Andere glauben durchaus an eine Strategie. Vor den Bundestagswahlen hatte sich Umfragen zufolge eine Mehrheit der Bevölkerung eine große Koalition gewünscht. „Schröder inszeniert jetzt bis zu einem gewissen Grad eine große Koalition und bestätigt ein in der Bevölkerung weit verbreitetes Zerrbild über die Grünen“, meint Umweltminister Jürgen Trittin.

In der Öffentlichkeit kann der Kanzler gewiß auf Beifall derer rechnen, die einer rot-grünen Koalition stets skeptisch gegenübergestanden haben – aber er gefährdet zugleich die eigene Mehrheit, wie das Beispiel Hessen belegt. Zu Beginn seiner Amtszeit waren es die Grünen, die gute Zensuren einheimsten. Die SPD hingegen bot ein Bild des Chaos und der Zerstrittenheit.

„Es gibt den Versuch, einen Richtungsstreit innerhalb der SPD auf die Grünen abzuwälzen“, glaubt Trittin. Bei der SPD sei die Auseinandersetzung darüber, was eigentlich unter der „Neuen Mitte“ zu verstehen ist, noch nicht entschieden. Zwischen sozialdemokratisch geprägtem Kleinbürgertum und Anhängern von Schröder, denen Helmut Kohl als Kanzler zu provinziell war, gebe es eine breite Kluft. „Mit der Konstituierung von Loyalitäten gegen die Grünen soll die SPD zusammengehalten werden“, so der Umweltminister.

Alle politischen Analysen, mögen sie auch noch so zutreffend sein, helfen jedoch dem kleineren Koalitionspartner nicht aus der Klemme. Die Grünen müssen irgendwie reagieren – nur wie? In hektisch einberufenen Krisensitzungen suchen Partei- und Fraktionsspitze nach einem gemeinsamen Weg. „Ich befürworte, daß man einen auch im Bundesrat zustimmungsfähigen Entwurf zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts erarbeitet, dessen Grundlage das Papier von Innenminister Schily ist“, sagt Kerstin Müller. „Dazu gibt es allerdings in der Partei unterschiedliche Meinungen.“

Schröder liefert in diesen Tagen den Beweis, daß sich mit Stimmungsmache gut Politik gestalten läßt. Immerhin stammt der umstrittene Gesetzentwurf, der jetzt als Dokument des grünem Fundamentalismus herhalten muß, aus dem Hause eines SPD-Ministers. Dennoch erscheint der Kurswechsel der Regierung wieder einmal als Niederlage der Grünen.

Niemand gehört gerne zu den Verlierern oder gilt als uneinsichtig. So melden sich jetzt landauf, landab bekannte und weniger bekannte Grüne zu Wort und räumen Positionen. Fritz Kuhn, Fraktionschef in Baden-Württemberg, fordert die Bonner Koalition auf, ihre Haltung zur doppelten Staatsbürgerschaft schleunigst neu zu diskutieren. „Wir müssen eine Lösung finden, die von den deutschen Bürgern einigermaßen akzeptiert wird.“ Seine rheinland-pfälzische Amtskollegin Ilse Thomas und der innenpolitische Sprecher der schleswig-holsteinischen Grünen, Matthias Böttcher, wählen die Bild als Forum, um für einen Kompromiß zu werben. Der Bonner umweltpolitische Sprecher Reinhard Loske sorgt sich unterdessen in der Zeit um den Klimaschutz. Den sieht er durch einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie gefährdet.

Aber Schröder beschränkt sich nicht auf rasante inhaltliche Schwenks. Der Kanzler greift im SZ-Interview einen Minister seines Kabinetts persönlich an: „Mehr Fischer und weniger Trittin“. Es gibt Zitate, die eignen sich zum gefügelten Wort. Dieser Wunsch von Schröder mit Blick auf die Politik der Grünen ist eines davon. Von Medien und ihrer möglichen Wirkung versteht der Kanzler etwas – mit nur fünf Wörtern zwei Spitzenpolitiker des Koalitionspartners gleichzeitig anzuschwärzen, das soll ihm erst einmal einer nachmachen. Denn nicht nur der Tadel für Jürgen Trittin, auch das Lob für Joschka Fischer ist vergiftet.

In der parteiinternen Auseinandersetzung um den künftigen Kurs, die nach der Wahlniederlage begonnen hat, wird sich die Bemerkung für den Außenminister als wenig hilfreich erweisen – zumal manche in der Partei ihn für das Debakel in Hessen mitverantwortlich machen. Schließlich habe er den Kurs des Landesverbandes wesentlich geprägt. Der hat sich selbst bislang noch nicht öffentlich zum Thema geäußert. Er weilt praktischerweise im Ausland. Bettina Gaus