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Die erste Warnung kommt von den Wissenschaftlern

■ Mit Katastrophenwarnungen lassen sich die Forschungsmittel erhöhen. Ist die öffentliche Debatte erst einmal im Gange, haben die Skeptiker es schwer, sich Gehör zu verschaffen

Beim Waldsterben wie beim Treibhauseffekt lassen sich ähnliche Themenkarrieren verfolgen: Forscher warnen, die Medien übersetzen und müssen dabei vereinfachen. Zweifel werden zwangsläufig an den Rand gedrängt. Medien und Politik machen schnell die Schuldigen aus – Industrie, Autofahrer, untätige Politiker. Schließlich greift die Regierung das Thema auf, bildet Kommissionen und vergibt Forschungsgelder.

Das führt zu ersten Maßnahmen, das öffentliche Interesse erlahmt. Etwas Neues muß her. Meist ist dies der Zeitpunkt, wo verstärkt Skeptiker Gehör finden, die die Warnungen für überzogen oder falsch halten.

Sowohl beim Waldsterben als auch beim Treibhauseffekt hatte der Spiegel die öffentliche Debatte eröffnet. Im November 1981 griff das Wochenmagazin unter dem Titel „Der Wald stirbt“ die Warnungen von Wissenschaftlern wie dem Bodenkundler Bernhard Ulrich auf, der prophezeite, „die ersten großen Wälder werden schon in den nächsten fünf Jahren sterben“. Erste Prognosen sind zwangsläufig mit einer gewissen Unsicherheit belastet. Die Wissenschaft profitiert davon erheblich: Bis heute wurde vom Bund eine halbe Milliarde Mark für Waldschadensforschung ausgegeben. In der Öffentlichkeit kommt die Unsicherheit nicht an. Genährt von den jährlichen Waldschadensberichten setzt sich die Gewißheit durch, daß der Wald unaufhaltsam stirbt.

Das ändert sich stark, als der Freiburger Waldforscher Heinrich Spieker 1996 eine europaweite Studie vorstellt, nach der die Bäume schneller wachsen als zuvor. Spieker, der die Waldschäden nicht in Abrede stellen wollte, erinnert sich heute an die Medienreaktionen: „Am ersten Tag hieß es: ,Die Wälder wachsen schneller‘ und ,Keine Rede mehr vom Waldsterben‘.“ In einer zweiten Pressewelle seien dann seine Ergebnisse diskreditiert worden: „Die Ergebnisse seien von der finnischen Forstindustrie finanziert und deshalb unglaubwürdig – und der Wald wachse sich zu Tode.“

In der stark emotionalen und politisch geprägten Debatte war es inzwischen tatsächlich für Forscher schwer geworden, noch sachlich wahrgenommen zu werden. Insbesonders, da das Waldsterben für Umweltschützer zu einem Grundpfeiler der verbreiteten Forderung nach einer anderen Lebensweise geworden ist. („Erst stirbt der Wald, dann der Mensch.“) Doch wenn die Bäume tendenziell sogar schneller wachsen als zuvor, kann der Wald nicht sterben. Der frühe Warner Bernhard Ulrich legt Wert darauf, daß tatsächlich einzelne Wälder wie von ihm prophezeit gestorben seien, vor allem in hohen Kammlagen wie im Schwarzwald, Oberharz und Erzgebirge.

Doch heute noch „Schreckensszenarien an die Wand zu malen, daß die Wälder sterben“, sagt Ulrich, „halte ich für nicht mehr gerechtfertigt.“ Die Waldschäden hätten sich auf ein konstantes Niveau eingependelt – wenngleich ein hohes. Trotzdem sei das kein Beispiel für den negativen Kassandraeffekt. Denn die Stabilisierung sei ja erst durch Schutzmaßnahmen erreicht worden: Halbierung der europaweit ausgeblasenen Schwefeloxide, Abschaffung von verbleitem Benzin, naturnaher Waldbau und die Kalkung von Waldböden, so Ulrich.

Auch bei der Debatte des Klimawandels dringen erst Mitte der Neunziger die Stimmen von Skeptikern in die Medien. Sie meinen, der Anstieg der globalen Temperatur hänge mit der Sonnenaktivität zusammen. Doch anders als bei der Debatte ums Waldsterben haben die Skeptiker in der Wissenschaftsgemeinde keine große Bedeutung. Anfangs seien die Kritiker kaum zu Wort gekommen, erinnert sich Friedrich-Wilhelm Gerstengarbe vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, das seit Jahren vor der Gefahr des Treibhauseffekts warnt. „Für mich war das gut – wenn ich ,Klima‘ gesagt habe, habe ich Geld bekommen.“ Nun hätten die Kritiker erheblichen Rückstand und könnten nicht mehr mithalten. „Die Forschung hätte breiter sein können“, bedauert der Wissenschaftler. urb

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