piwik no script img

Karen Duves fulminanter Erstling „Regenroman“

Regen kann so schön sein. Mit Blitz und Donner und Karacho im Sommer. Danach riecht alles herrlich frisch und glänzt im Sonnenlicht. Im Regenroman ist der Regen von der fiesen Sorte: Es rauscht und pladdert ohne Ende, es pfützt und nieselt, gießt und schüttet. Tagelang, wochenlang, monatelang.

Als „nasseste Geschichte seit der Sintflut“ hat Karen Duve ihren beeindruckenden Debütroman bezeichnet. Genüßlich läßt sie Leon und Martina, ein frisch verheiratetes Paar, bei Dauerregen in ein Haus im Moor ziehen. Wasser von oben, Wasser von unten. Die Natur dringt unaufhaltsam in Haus und Haut und Haar ein und macht aus dem ehemaligen Frauenhelden Leon nach und nach ein phlegmatisches Wrack. Anfangs glaubt der mäßig erfolgreiche Schriftsteller noch an den finanziellen Durchbruch. Ein Hamburger Zuhälter hat ihm gerade den lukrativen Auftrag erteilt, seine Biographie zu verfassen. Während Leon schreibt, macht es sich Ehefrau Martina auf dem Sofa gemütlich und liest Frauenzeitschriften oder Hunderatgeber – wenn sie nicht gerade eine Bulimieattacke beu telt. Die häusliche Scheinidylle währt nicht lange. Aus der Dusche rinnt bald braune Brühe, schleimige Schneckenhorden fressen systematisch den Garten kahl, und der Zuhälter ist so unzufrieden mit Leons Schreibleistung, daß er ihm immer gefährlicher auf den Pelz rückt.

Höchst vergnüglich ist das zu lesen – aber auch hammerhart. Die 38jährige Autorin seziert mit präzisen Schnitten ihr Romanpersonal, bis nur noch die Hälfte davon übrig bleibt. Ein Krimi ist das Ganze trotzdem nicht, auch kein flockiger Popkultur-Roman, von denen es derzeit auf dem Buchmarkt wimmelt. Duves Themen sind zeitlos: So wie Dunstschwaden aus dem Moor emporsteigen und die Konturen der Häuser in Nebel hüllen, so beobachtet sie das Verschwimmen von Grenzen und den Kontrollverlust in einer alles überflutenden Natur.

Wie in einem glibbrigen Moor versinkt Leon in den Fleischbergen der unförmig fetten Nachbarin Isadora, wenn er sich widerstandslos von ihr verführen läßt. Es ist die Lust am passiven Eintauchen, die Leons weiche Seite immer stärker zu Tage treten läßt. Scharf, schnörkellos und radikal analysiert Karen Duve die Geschichte eines Verfalls, die den Leser zwischen Ekel und Lachen hin und her wirft. Mit trockenem Humor und lakonischer Schärfe werden hier die Messer gewetzt und konsequent auf den Höhepunkt zugeschnitten. Ein fulminantes Debüt.

Karin Liebe

Karen Duve: „Regenroman“, Eichborn Verlag, Berlin 1999, 302 Seiten, 36 Mark

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen