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Die Gnade der reichen Geburt

■ Der „Krieg der Generationen“ um die Rente findet nicht statt. Vielmehr wird die Institution von Familie und Erbschaft wichtiger

Paul Getty II. weiß, was er vom Geld und der jungen Generation halten soll. „Money isn't everything, but it sure keeps your children in contact with you“, hat der exzentrische US-Milliardär als Leitspruch in seiner Villa hängen. Anderswo spricht man nicht so nüchtern über den Zusammenhang zwischen Kindesliebe und Erbschaft. Aber auch dort ist die Familie ein wichtiges Transfersystem – das um so wichtiger wird, je mehr sich die öffentlichen Sozialkassen leeren. Doch das Verteilungssystem Familie schafft neue Ungleichheiten innerhalb der jungen Generation, und dort liegen künftig die sozialen Brüche.

Vor 20 Jahren tobten innerfamiliäre Generationskämpfe, heute sprechen Jungpolitiker innerhalb der Rentenversicherung vom „Krieg der Generationen“. Schließlich zahlen die Jüngeren ein Fünftel ihres Bruttolohns – inklusive Arbeitgeberanteil – in die Rentenversicherung, und es ist unsicher, wieviel sie davon wiedersehen. Die Familie entwickelt sich unterdessen zu einem Ort des friedlichen Nacheinanders von Alt und Jung: Still und leise wechseln hier Milliarden zum Nachwuchs, in Form von Ausbildungsbeihilfen, Erbschaftsvorauszahlungen, Häusern und Wertpapieren.

Beispiel Bafög: Die Zahl der Bafög-Empfänger ist in den vergangenen Jahren gesunken, weil Eltern mit ihrem Verdienst zunehmend über den Freibeträgen liegen und die Kinder voll unterstützen müssen. Während sich der Staat aus der Ausbildungsförderung zurückzieht, wird eine gute Ausbildung wieder zur Familienangelegenheit.

Noch wichtiger sind die Erbschaften: Von 1997 bis zum Jahre 2002 gehen laut einer Studie der Kölner Unternehmensberatung BBE Werte in Höhe von zwei Billionen, also von 2.000 Milliarden Mark, an jüngere Erben über. Das durchschnittliche Erbschaftsvolumen steigt vom Jahre 1980 bis zum Jahre 2002 von 85.000 Mark auf 471.000 Mark. Während die Sozialsysteme erodieren, wird der Wohlstand „familiarisiert“.

In einer Untersuchung an 40- bis 85jährigen stellte der Berliner Soziologe Martin Kohli fest, daß ein Drittel der Befragten bereits etwas von den eigenen Eltern geerbt hatte und noch mal ein Sechstel über den Ehepartner zumindest indirekt von Nachlässen der Schwiegereltern profitierte. Aber nur jede dritte Erbschaft bietet laut BBE Vermögenswerte in Höhe von über 250.000 Mark, jede vierte liegt zwischen 100.000 und 250.000 Mark. Viele – besonders im Osten – kriegen wenig oder gar nichts. Erben ist ungerecht.

Wer aber nichts von Daddy zu erwarten hat, der kann in der Jobmangelgesellschaft nur noch schwer durch eigene Arbeit neues Vermögen anhäufen. Vorbei die Zeiten der 50er, 60er und 70er Jahre, als sich alle Arbeitnehmer über ständig steigende Nettogehälter freuten. Familien, die damals eine Immobilie erwarben und Geld sparten, finden sich heute unter den Millionären wieder. Diese soziale Mobilität nach oben ist gestoppt, die Jobmisere drückt die Arbeitsentgelte. Jüngere malochen auf unsicheren Arbeitsplätzen und stöhnen unter hohen Sozialbeiträgen.

Die Ungleichheiten zwischen jenen vom „fertigen Geld“ und den Erbenichtsen dürften sich noch verschärfen. Der Bamberger Soziologe Andreas Klocke spricht von einer „Reproduktion sozialer Ungleichheit in der Generationenabfolge“. Nicht nur die Vererbungswellen, auch „sozialhomogene Heiratsmuster“ konzentrierten die Vermögen, so Klocke. Reich heiratet lieber reich, und das wird künftig auch so bleiben.

Die Sozialkassen haben diese breite „Familiarisierung“ von Wohlstand indirekt unterstützt. Die hohen Renten ermöglichten erst, daß Ältere genug ansparen konnten, um ihren Kindern nach dem Tod ein kleines Vermögen zu vererben. Zudem ist die Pflegeversicherung eine verdeckte Erbenschutzversicherung. Wer zum Pflegefall wird, der hat Anspruch auf bis zu 3.000 Mark monatlich aus den Pflegekassen, bevor das Vermögen angeknabbert wird. Früher bedeutete ein jahrelanger Schwerstpflegefall das schnelle Dahinschmelzen des Erbes – eine Horrorvorstellung auch für die Älteren, die mit der Erbschaft den sozialen Status der Familie über Generationen hinweg sichern wollten.

Es geht nicht mehr aufwärts für alle – und wenn Mangel verteilt wird, zeigt sich, wer der Schwächere ist: Jüngere Erwerbstätige ohne Familienbesitz sind die strukturellen Verlierer. In den künftigen „Rentenreformen“ wird sich das noch deutlicher zeigen. Bei Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) hat sich eine Expertenkommission zum Thema Rente zusammengefunden. Der Tenor ist klar: Mittelfristig werden die Renten im Verhältnis zu den Nettolöhnen sinken müssen. Die Experten beraten wieder über einen „demographischen Faktor“ in der Rentenberechnung. Der Faktor koppelt die Höhe der Renten an die Bevölkerungsentwicklung. Im Klartext: Kommt der demographische Faktor, sinken die Renten. Doch gerechter für die Jungen ist genau das eben nicht.

Der demographische Faktor entfaltet nämlich in die Zukunft hinein eine exponentiale Wirkung, wie der Bremer Soziologe Reinhold Sackmann feststellt. Aufgrund der Überalterung bekommen Rentenneuempfänger des Jahres 2020 diesen Faktor sehr viel deutlicher zu spüren als Renteneinsteiger im Jahr 2005. Denn sie haben viel eingezahlt, kriegen aber nur noch wenig heraus.

Sackmann warnt deshalb davor, daß die Jüngeren dann das intergenerationale Rentensystem am liebsten ganz boykottieren wollten. Das Interesse der Jüngeren an einem „radikalen Systembruch“ verstärke sich, fürchtet der Soziologe.

Daß in 20 Jahren die Politik tatsächlich einen Systembruch vollzogen hat, ist wahrscheinlich. Schon heute spricht sich Arbeitsminister Riester dafür aus, Renten unterhalb des Sozialhilfeniveaus durch die Rentenkasse selbst aufzustocken. In Zukunft leistet die Rentenversicherung möglicherweise vor allem eine Art Armutssicherung, aber nicht mehr.

Der „Generationenkonflikt“ um die Rentenkasse wird sich daher in 10, 20 Jahren am Gefälle zwischen Reichen, Mittelreichen und Armen brechen, am Gefälle zwischen Kapitalbesitzern und verschuldeten Haushalten, an den Brüchen auch zu Immigrantengruppen. Im Zweifelsfall stehen Kinder ihren Eltern immer näher als Gleichaltrigen aus einer anderen Schicht, Klasse oder einer anderen Kultur. Der „Krieg der Generationen“ um die Rente findet nicht statt. Die neuen Fronten verlaufen anderswo. Barbara Dribbusch

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