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Leuchttürme in der Wüste

Den Kultureinrichtungen der Berliner Bezirke steht ein dramatischer Niedergang bevor. Und der Senat sperrt sich gegen ein Gesetz, das finanziell helfen könnte  ■ Von Rolf Lautenschläger

Wenn Berlins quirliger Kultursenator Peter Radunski (CDU) die Kunst- und Kulturszene der Stadt in Augenschein nimmt, erfüllt stolzes Lächeln sein Gesicht. „Wir besitzen eine Reihe erstklassiger Museen und Theater. Die Stadt ist voller Kultur.“ Neue Intendanten wie der Burgtheaterchef Claus Peymann kämen an Bord. Die Museumsinsel werde saniert und erweitert. Um die Hauptstadtkultur noch attraktiver zu machen, denkt Radunski an eine Stiftung Nationaltheater, in der kulturelle „Leuchttürme“ wie Opernhäuser, Staatstheater, Konzerthäuser und Museen zusammengefaßt werden.

Berlin-Kultur total? Wohl kaum. Weit weniger froh müßte den Senator machen, daß sich jenseits der „Leuchttürme“ ein kulturelles Brachland auftut, dessen Rolle auch einmal von „gesamtstädtischer Bedeutung“ war. Die bezirkliche Kulturarbeit, einst international ausgezeichnet für basisnahe Vermittlung von Kunst-, Szene- und Musikprojekten, Volksbildung, Musikerziehung und Stadtteilkultur, leuchtet nicht mehr, sondern glimmt bestenfalls. Die Etats der Kulturverwaltungen in Pankow, Wedding, Lichtenberg oder Treptow – alles Bezirke mit Einwohnerzahlen mittelgroßer deutscher Städte – schrumpfen dramatisch. In den Kunstämtern, etwa in Steglitz, Kreuzberg oder Wilmersdorf, schmelzen die dürren Finanzmittel für Ausstellungen auf jeweils ein paar tausend Mark. Und fast ohne Gelder für Kunstprojekte müssen jetzt schon die Bezirke Tempelhof und Wedding auskommen. Daß es in den Kulturämtern der Bezirke zum Heulen aussieht, weiß man in der Stadt nicht erst seit heute. Seit 1996 läßt der Senat regelmäßig einen Bericht erstellen, der die Mittelkürzungen seit 1993 statistisch erfaßt.

Jetzt liegt die neueste Ausgabe „zur aktuellen Situation zur bezirklichen Kulturarbeit“ vor. Das Ergebnis der Studie nennt die kulturpolitische Sprecherin der Berliner Fraktion Bündnis90 / Grüne, Alice Ströver, übrigens unisono mit den Kollegen aller anderen Parteien, „erschreckend“.

Grund ihres Entsetzens sind nicht allein die Etatkürzungen und die damit einhergehenden Defizite kommunaler Kulturarbeit, sondern das Ausbleiben politischer Konsequenzen. Was tun, wenn gegenüber 1997 Hohenschönhausen derzeit mit rund 41 Prozent, Köpenick 47 Prozent, Lichtenberg 43 Prozent oder Wedding 15 Prozent weniger Mitteln für ihre Kulturinstitutionen rechnen müssen?

Nach Ansicht Strövers liegt der Hund in den Bezirkskulturverwaltungen begraben. Einerseits, weil diese immer weniger Mittel aus dem maroden Haushalt erhalten. Andererseits gehören die Etats für Kultur nicht zu den „Pflichtaufgaben“ der Bezirke. Gegen gewichtige Ausgaben im sozialen Bereich, für Kitas oder Schulen, für Neubauten oder Verkehrswege kommen die Künste nur schwer an. Entweder man finanziert sie gerade noch so ausreichend wie nötig, kommt für Personal, ein paar Projekte und freie Träger auf – oder die kommunale Arbeit wird, wie vielerorts, schlicht ignoriert.

Um die bezirkliche Kulturarbeit zu sichern, fordern die Grünen gemeinsam mit der PDS ein Landesgesetz zu deren Erhalt und Förderung. Darin sollen sich das Land und die Bezirke verpflichten, Gelder zur Kulturarbeit bereitzustellen, die auch aus der Kasse des Kultursenators kommen sollen – ganze 0,3 Prozent von dessen Etat. Diese „Minimalausstattung für alle“ wie Ströver das nennt, hätte zur Folge, daß die kommunale Kultur in den Bezirksparlamenten nicht vom Gutdünken politischer Mehrheiten abhängt, sondern gesetzlich institutionalisiert wird. Peter Radunski, der wie Ströver oder die SPD-Kulturfrau Irina Rusta, „das Problem“ des Niedergangs der Kulturarbeit „auch sieht“, lehnt ein solches Gesetz freilich ab.

Der Senat habe den Bezirken mit der Verwaltungsreform Autonomie für die Globalhaushalte gegeben. „Ein dirigistischer Eingriff durch ein Kulturgesetz in die Hoheit der Bezirke“, wie seine Parteikollegin Monika Grütters ergänzt, komme nicht in Frage. Man müsse sich statt dessen andere Formen der Finanzsicherheit überlegen: Kooperation mit anderen kulturellen Einrichtungen und Trägern oder private Subventionierung.

Daß die Bezirke auch diesen Vorschlag nicht ablehnen, ist eine Sache. Schon heute werden Ausstellungen etwa des Kunstamts Zehlendorf oder Hohenschönhausen mit privaten Partnern veranstaltet. Eine andere Sache ist, daß es ohne eine gesetzliche Regelung für die bezirkliche Kulturarbeit dennoch nicht geht. Sind doch die kommunalen Einrichtungen und damit die Bezirkskultur teilweise soweit bedroht, daß es zu ihrem Verschwinden nur noch eines kleinen Schrittes bedarf. „Ist ein Haus oder eine Stelle weg“, wie die Kunstamtsleiterin von Steglitz, Sabine Weißler, sagt, „dann für immer“.

Schaut man sich den Bericht genauer an, stellt man fest, daß der Abbau sich dynamisch entwickelt. Insgesamt haben 19 von 23 Bezirken ihre Etats gegenüber dem Vorjahr (1997) reduzieren müssen. In Friedrichshain etwa sind statt 201.800 noch 149.000 Mark übrig, eine von 14 Stellen sowie die Druckwerkstatt gestrichen worden. Hohenschönhausen fiel von 227.800 Mark auf 132.400 Mark, Schöneberg von 177.800 Mark auf 163.000. Betrachtet man die Gelder, die die Bezirke pro Kopf der Bevölkerung veranschlagen, ergibt sich ein noch schlimmeres Bild. Neben Wedding, Tempelhof und Wilmersdorf liegen auch in Lichtenberg die Kulturausgaben unter einer Mark im Jahr. Schöneberg und Spandau kalkulieren zwischen 1,11 Mark und 1,39 Mark, Charlottenburg gibt 1,14 Mark pro Kopf aus. Etwas besser sieht es in Köpenick (2,58 Mark) oder Pankow (2,20 Mark) aus. Insgesamt, faßt Jörn Jensen, grüner Bürgermeister von Tiergarten zusammen, sei die „Situation hochdramatisch“. Und der Ausblick ist mies: Im Jahr 2000, so Jensen, seien in den meisten Bezirken die Mittel im konsumtiven Bereich aufgebraucht.

Zwar ziehen die Bezirksbürgermeister und Kulturämter an einem Strang und fordern, wie Hellersdorfs Kulturstadtrat Bernd Wolf (CDU) das Kulturgesetz, da „ohne Pflichtaufgabe uns die kulturelle Wüste droht“. Dennoch fällt auf, daß die östlichen Bezirke sich mehr der Kulturarbeit annehmen, als ihre westlichen Partner. Spitze bleibt Prenzlauer Berg, der mit rund 1,4 Millionen Mark und einem Pro-Kopf-Anteil von fast 10 Mark die Kulturarbeit ernst nimmt. „Wir haben nicht mehr Geld als andere Bezirke“, sagt Stadtrat Burkhard Kleinert (PDS), „aber mehr Verantwortung gegenüber der Kultur“. Der Bezirk habe sich 1995 „selbstverpflichtet“ mindestens drei Prozent des Haushalts in den Kulturetat zu stellen.

Daß die Ostbezirke vor dem Westen liegen, hat einmal damit zu tun, daß sie insgesamt eine höhere Ausstattung kultureller Infrastruktur aufweisen. Zudem sind zu den aus DDR-Zeiten stammenden Kulturhäusern Einrichtungen der Nachwendezeit gekommen, die Gruppen und Künstler initiierten: so die Tanzschule und Bühne Dock11, die Tanztage Pfefferberg, Programme der GalerieO2, eine Kunstwerkstatt und vieles mehr.

Diesen „Kernbestand“ will Kleinert nicht aufgeben. Bedroht sieht er ihn dennoch: durch immer weniger Mittel im Haushalt und die Bezirksreform, die im Jahr 2001 die Neuzuschnitte der Bezirke bringt. Prenzlauer Berg fusioniert dann mit Pankow und Weißensee. Doch darin liegt auch eine Chance: Um das hohe Angebot kommunaler Kulturarbeit zu gewährleisten, müsse über eine Qualifizierung der Kulturarbeit nachgedacht werden, findet etwa die Kunstamtsleiterin Andrea Gärtner.

So könnten Kulturangebote spezifiziert und zielgerichtet angeboten, Defizite sogar abgebaut werden – „wenn nicht“, so Gärtner, „die Stellen derer, die diesen Prozeß gestalten sollen, weggekürzt werden“.

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