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Ein Mann? Eine Frau? Eine selbstgeschöpfte Person?

Er arbeitet in einer Hamburger Bank und trägt dunkle Anzüge. Sie inszeniert sich als Biest und flaniert im rosa Pelzjäckchen. Über einen Mann, der manchmal eine Frau ist  ■ Von Viola Roggenkamp

Er rief mich an. Ich kannte ihn nicht. Ob ich Interesse hätte an einer Geschichte über einen Mann, der manchmal eine Frau sei? Seine Stimme war kühl, nahezu kaltschnäuzig.

Ich zögerte zu fragen, ob er dieser Mann sei. „Sind Sie diese Frau?“ Ihn so anzusprechen, sträubte sich etwas in mir. Also fragte ich zögernd: „Sind Sie das?“ Später erfuhr ich von ihm, daß er am Telefon in einem schwarzen Minirock gestanden hatte.

Für unsere erste Begegnung verabredeten wir uns zum Abendessen in einem französischen Lokal, das er vorschlug. Sehr teuer. Er würde als Frau kommen, ob ich damit einverstanden sei? Er wolle, daß ich ihn zuerst als Frau sähe.

Das Restaurant war gut besucht. Ich hatte uns einen Tisch für zwei Personen reservieren lassen und wartete an der Bar bei einem halbtrockenen Sherry, mit dem Blick zur Tür. Der Empfangschef, ein großer Algerier, der die eintretenden Paare willkommen hieß, stets den Herrn nach der Reservierung fragte und dabei der Dame aus dem Mantel half, zeigte sich keine Sekunde irritiert über das rosa Pelzjäckchen, in dem ihm mein Gast stumm schillernd entgegentrat. Sie sprachen kurz miteinander. Auf eine leise Frage, kam eine hingehauchte Antwort. Dann sahen sich beide suchend um. Ich war bereits aufgestanden. Ein Mann? Eine Frau? Eine selbstgeschöpfte Person? Ich sah seine Augen und, wie um Atem zu holen, fiel mein Blick von seinem Gesicht auf seine Schuhe. Sehr hohe, grüne Pumpssandaletten. Draußen schneite es. Unter dem dick aufgetragenen Make-up lag Angst. Der dunkelrote Mund war zu einem strahlenden Lachen verzerrt. An seinen Ohren baumelte großes Strassgehänge. Eine wildgelockte Langhaarperücke paßte zu dem Bild der frechen Schlampe, die er darstellte. Sehr schöne, kräftige Beine in schwarzen Netzstrümpfen. Darüber der Minirock und ein rotes T-Shirt. Seine künstlichen Brüste waren zu spitz und zu hoch angesetzt.

Mir fiel ein, was ich als Kind einen schwulen Freund meiner Eltern hatte erzählen hören. Wir saßen beim Mittagessen. Als Ramonita Vagas war er Ende der fünfziger Jahre in einer Kellerbar aufgetreten. Er nahm Wellensittichfutter für seinen künstlichen Busen. Die kleinen Körner, drei Handvoll in zwei Beutelchen aus Nylon eingenäht, hätten in der Bewegung, wenn auch leise raschelnd, ihr spezifisches Eigengewicht. Zwar nicht so schön, aber ähnlich wie bei den Brüsten einer Frau.

Ich begrüßte ihn und fragte, mit welchem Namen er von mir angesprochen werden wollte? Er überragte mich um einiges und war sehr schlank. Seine Hand lag gleich einem feuchten Tuch in meiner. „Wie Sie möchten“, erwiderte er verhalten und errötete tief. „Nur nicht mit meinem Namen als Mann.“ Er hieß Klaus-Hinrich, und es stellte sich heraus, daß er noch nie auf die Idee gekommen war, für sich einen Frauennamen zu wählen. „Geben Sie mir einen“, sagte seine Stimme in flirrendem Ton, irisierend zwischen Sopran und Bariton. Ich lehnte die Rolle der Namensgeberin vorsichtig ab. „Ich werde einfach Sie zu Ihnen sagen“, antwortete ich und fühlte zum ersten Mal deutlich, daß in unserer Sprache diese erhobene Form der Anrede weiblich ist.

Während des Essens, das er mit gezierten Bewegungen zu sich nahm, was ihn nicht hinderte, alles zu verzehren, teilte er mir mit: „Schwul bin ich nicht, falls Sie das denken sollten. Ich lebe mit einer Frau zusammen. Finden Sie das schlimm?“

Ich sah auf seine feingliedrigen, männlichen Hände. An den Fingerspitzen klebten rotlackierte Nägel. „Findet Ihre Frau das schlimm?“ fragte ich. „Sie weiß es. Aber sie will es nicht wissen. Sie will mich so nicht sehen. Leider. Wie finden Sie mich?“

Ich schenkte ihm Wein ein. Ich gab ihm Feuer. Ich machte ihm Komplimente. Ich zahlte die Rechnung. Nach Hause gebracht werden wollte er nicht von mir. Er war Mitte dreißig und arbeitete in einer großen Hamburger Bank.

Bevor wir uns trennten, verabredeten wir uns für ein zweites Gespräch in der Redaktion. Ob er wieder als Frau kommen könne, fragte er. Ich hob die Hände zum Zeichen dafür, daß es nicht meine Entscheidung sei.

Auf dem Heimweg sah ich an mir herunter. Ich trug dunkelblaue Jeans. Hosen, die sich unisex nannten. Sie waren vorn geknöpft. Noch vor dreißig Jahren wurden Jeans für Frauen hinten, über dem Po, oder an der Hüfte mit einem Reißverschluß geschlossen.

Die Mode wird in der westlichen Welt mehrheitlich von Männern gemacht. In anderen Kulturen bestimmen Männer, was Frauen und Männer nicht anziehen dürfen. Doch daß Klaus-Hinrich mit der Freigabe weiblicher Kleidung für Männer nur begrenzt gedient sein würde, war deutlich. Es schien um mehr zu gehen.

Eine Kollegin am Redaktionsempfang rief mich an: „Besuch für Sie.“ Ich ging, ihn zu holen. Er sah aus wie an unserem ersten Abend. Das aufgedonnerte Biest saß im Entrée der Redaktion auf dem Besuchersofa, eingeklemmt zwischen zwei Männern in dunklen Anzügen, die sich, Knie zusammengepreßt, mit ihren Aktenkoffern bedeckt hielten.

Er kam strahlend auf mich zu, ließ sein Täschchen baumeln, roch heute noch stärker nach Parfüm und flüsterte mir zu: „Können diese Kerle einem nicht leid tun?“ Dabei warf er im Vorbeigehen einen vernichtenden Blick auf die zwei Telefonistinnen in der Empfangsloge, die ihn mit professioneller Gelassenheit freundlich passieren ließen.

Seinen verachtungsvollen Ausdruck nahmen die beiden Frauen für das typische Getue einer solchen Frau, wie er sie darstellte, und nicht etwa gegen sie selbst gerichtet. Was sie sahen, waren beeindruckend hohe Pumps – und so schlanke Hüften. Eigentlich gar keine Hüften. Gleichzeitig schien er für sie in seiner Perfektion etwas Lächerliches zu haben. So war eben keine Frau. Und dieses Flittchen, zu dem er sich inszeniert hatte, glaubten die beiden Frauen verhöhnt durch ihn in seiner feinen Übertreibung.

Welch ein Mißverständnis! Oder doch nicht? Die Frau, die er darstellte, schien er zu brauchen, nicht zu verachten. Und doch setzte er sie tatsächlich allen Blicken aus.

Am Schreibtisch stellte ich das Tonband an. Er zog das Mikrophon näher an sich heran. Nach drei vollgequatschten Kassetten gab ich es für diesmal auf. Es war unmöglich, an ihn heranzukommen. Zwischendurch war er zweimal zur Toilette gegangen. „Kann ich das Klo für die Frauen benutzen?“ Als er zurückkehrte, war er frisch gepudert und noch aufgeladener als zuvor. Ich bat ihn, das nächste Mal als Mann zu kommen. „Wieso?“ kam es spitz.

Ich wollte auch dem Mann begegnen, in der Hoffnung, vielleicht von dem Mann mehr zu erfahren über diese Frau, in deren Hülle er vor mir stand. Nachdem er gegangen war, blieb Unsicherheit in mir zurück, ob er wiederkommen würde, um mit mir zu sprechen?

„Besuch für Sie.“ Er wirkte kleiner, um vieles mehr als um die Länge seiner Pumpsabsätze. Ein zarter, leiser Mann, mit dichtem, sehr kurzem Haar.

Morgens, wenn er nur schwer aus dem Schlaf auftauche und eigentlich keine Lust habe, den Tag irgendwie anzufangen, fühle er, daß es gut wäre, diese Frau zu sein, oder vielleicht nicht zu sein, aber diese Frau sich anzutun. Das gehe leider nur, wenn er nicht zur Arbeit müsse.

Neulich, da kam er nach Hause, streifte alles von sich ab, die Bank, die Kollegen, den dunkelblauen Anzug – und stieg in die Pumps und den Minirock. „Noch schnell meine Ohrringe. Dann... Ich kam gar nicht mehr dazu, mich zu schminken. Es genügte schon, daß ich mich so im Spiegel sah. Der Kick. Als wäre ein Schalter in mir umgelegt worden. Ich war drauf. Ich war drauf und dran zu kommen. Das ging mir eigentlich zu schnell.“

Er sei immer dieser Typ Frau. Die sei doch scharf. Die könne was aushalten. Wie sein Vater auf diese Frau reagiert hätte, war ihm ganz klar. „An der hätte er sich die Zähne ausgebissen. Die hätte ihn hängen lassen. Die wäre von ihm beschimpft worden. So wie er es mit meiner Mutter gemacht hat, früher. Dabei ist meine Mutter überhaupt nicht so. Die ist ganz lieb und spießig. Beide. Das Spießerpaar. Ich würde alles tun für meine Eltern.“

Daß er bloß nie so werde wie sein Vater, hatte ihm seine Mutter gesagt, wenn sie ihm morgens das Frühstück ans Bett brachte. Viele Jahre jeden Morgen. Vor dem Kindergarten. Vor der Schule. Vor der Arbeit. Da war er fast schon erwachsen. Und sie kam herein ohne anzuklopfen. Sie kam aus dem Elternschlafzimmer, innerlich gedemütigt und mit verborgenem Haß gegen den eigenen Mann. Und er, ihr Sohn, blieb liegen, obwohl er hätte hochkommen wollen. Sie hielt ihn unter der Decke und stellte das Frühstückstablett darauf.

Mädchensachen habe sie ihm nie angezogen. Aber er sich. Das erste Mal den Rock einer Mitschülerin. Im Turnunterricht hatte er wieder wie ein Sack am Barren gehangen, und die Lehrerin hatte ihn verspottet. Er war in den Umkleideraum gelaufen, um zu weinen. Die Tür zu dem Mädchenraum stand offen. Scham und Angst verwandelten sich in sexuelle Erregung beim Anblick der stumm dahängenden Kleider und Röcke.

Er nahm sich einen roten Faltenrock, stieg hinein und stand starr mit abgewandtem Gesicht zur Tür, in der Erwartung, gleich, sofort erwischt zu werden. Als niemand kam, begann er sich darin zu bewegen. Er wollte besser sein als das Original.

Bei unserer nächsten Begegnung war er wieder das Biest und erzählte mir seine „feministische Philosophie“ über die Ängste der Gesellschaft vor der Frau und daß es dabei nur um die Angst des Mannes vor sich selbst gehe. Manchem konnte ich zustimmen. Und doch hörte sich alles affektiert an und einiges wie aus einem pornographischen Film.

In mir nahm das Unbehagen gegenüber ihm zu, auf mein Eigentum achten zu müssen. Ein Gefühl, das durch ihn in mir entstanden war und das wahrscheinlich zu ihm gehörte, zu diesem schüchternen Mann. Er gab darauf keine Antwort, sondern beschrieb mir, wie er am liebsten mit seiner Frau sexuell zusammen sei. Er liege ausgestreckt auf dem Rücken und sie liege auf ihm, mit ihrem Rücken auf seiner Brust. Er umfasse ihre Brüste und phantasiere, es seien seine. Er vermutete, sie wisse nicht, was er da mit ihr mache.

Ich besuchte ihn in seiner Wohnung. Er öffnete mir als Mann. Ich suchte nach seiner Frau. „Wir leben zusammen, aber wir wohnen getrennt, wenn Sie diese Frau meinen.“ Ich meinte die andere.

Sie war nicht zu finden in der extremen Ordentlichkeit, die vorherrschte. Wir gingen in sein Badezimmer. Alles stand bereit. Ein Arsenal an Utensilien, aufgereiht und blinkend. Er begann, sich zu schminken. Daß er sich von mir dabei zusehen ließ, war nicht einfach bloß nett, sondern erhöhte seinen Blutdruck. Ich beobachtete die Perfektion, mit der er an sich vorging.

„Ich bin die einzige Frau mit einem Schwanz. Ich habe das beste von beiden. Weiblichkeit und Männlichkeit.“ Wenn er in die Frauensachen schlüpfe, wachse darunter seine Gewißheit, daß sie ihm nichts anhaben könnten. „Wer?“ fragte ich. „Die Blicke der Leute“, antwortete er. Und die Frauen? „Ja, die auch. Alles Haß und Neid.“ Worauf?

Er sprach zu mir in den Spiegel hinein: „Die attraktiv herausgestellte Frau ist für mich mein verlängerter Penis. Ich meine, das hört sich jetzt vielleicht ein bißchen blöd an, aber das ist schrecklich schön.“ Er sei autark. Er sah mich an. Er habe alles.

„Wenn Sie die einzige Frau mit einem Schwanz sind“, sagte ich, „dann sind Sie auch die einzige Frau ohne Vulva und Brüste.“ Ich wollte ihm nichts kaputtmachen, aber ich war wütend über seine Maßlosigkeit, mit der er meine weibliche Existenz wegredete, den Unterschied zwischen den Geschlechtern. Wir verabredeten eine letzte Begegnung.

Klaus-Hinrich kam wieder als Frau. Es tue ihm gut, daß er durch mich damit nach draußen könne. Er sah schlecht aus. Ich schwieg und betrachtete ihn lange.

Sein Lidstrich war verrutscht, der Lippenstift war ungenau gezogen, und unter seinem Make-up war er nachlässig rasiert. Als sähe er aus einem gesprungenen Spiegelglas heraus. Seine Stimme klang grau: „Ich hätte schon immer gern gewußt, was meine Mutter zu mir sagen würde, wenn sie mich so sähe. Mit alledem. Ob sie sich freuen würde, über das hübsche kleine Mädchen?“

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