: "Die SPD will keine Visionen mehr"
■ Franz Walter, SPD-Experte und Politologe an der Universität Göttingen, über Lafontaines Abschied, Schröders Politikverständnis und den Traditionalismus der Sozialdemokraten
Schröder läßt sich im Kaschmir-Mantel für ein Lifestyle- Magazin fotografieren – und zur gleichen Zeit verschwindet Lafontaine in der totalen Versenkung. Selbst im Abschied verweigert er sich den Gesetzen der Mediendemokratie. Läßt sich so der Unterschied zwischen Schröders und Lafontaines Politik erklären?
Franz Walter: Man macht es sich zu einfach, wenn man Lafontaine und Schröder so stereotyp beschreibt: Hier der trotzige, fast altmodische Bewahrer der Parteiendemokratie, dort der Meister der Mediendemokratie. Lafontaine hat diese Rolle nur in den letzten drei, vier Jahren gespielt. Davor hat er das gemacht, was Schröder heute tut: Lafontaine hat mit Hilfe der Medien Tabus der Partei gebrochen, er ist in Talkshows aufgetreten, er ist 1988 von den deutschen Topmanagern zum Politiker des Jahres gewählt worden. Anfang der 90er Jahre verlor Lafontaine durch eigene Fehler und Skandale die Gunst der Medien. Erst danach wurde aus ihm der Parteisoldat, der Wahrer der sozialdemokratischen Identität.
Vielleicht liegt der Unterschied woanders. Wo es Schröder um Macht und Show geht, handelt Lafontaine aus politischer Überzeugung.
Auch diese Beschreibung halte ich für falsch. Lafontaine ist genauso ein Machtpolitiker wie Schröder, im Laufe der Zeit hat auch er mehrere seiner Überzeugungen über Bord geworfen. Schröder hat einen anderen Vorzug: Er hat instinktsicherer und zielbewußterer die Macht ergriffen als Lafontaine. Der SPD hat es an solchen Typen immer gefehlt. Sie sollte froh sein, daß sie Schröder hat.
Woran ist Lafontaine gescheitert – am Kanzler, an sich selbst oder an der abenteuerlichen Idee, die Weltökonomie mit seiner Politik zu bändigen?
Lafontaine sind zwei entscheidende Fehler unterlaufen. Er hat seine Möglichkeiten überschätzt, als starker Minister und Parteivorsitzender in der Regierung die Richtlinien der Politik bestimmen zu können. Das funktioniert in Kanzlerdemokratien nicht. Und Lafontaine ließ nicht von seiner fixen Idee, die Souveränität der Politik, ihre Steuerungsfähigkeit gegenüber der Wirtschaft bedingungslos zu verteidigen. Damit hat er sich eine blutige Nase geholt.
Aber gerade die Hoffnungen auf mehr Einflußnahme der Politik haben in fast ganz Europa sozialdemokratische Regierungen an die Macht gebracht.
Dieses traditionelle Politikverständnis hat sich schon seit Jahrzehnten erledigt. Wir nehmen es nur nicht wahr. Politik in hochdifferenzierten Gesellschaften ist immer nur Reagieren, Moderieren, Ausgleichen, Zurückweichen und symbolisches Inszenieren. Zugespitzt gesagt: Je weniger Politik macht, je unaufgeregter sie sich verhält, desto besser funktioniert die Gesellschaft. Wir hängen aber immer noch den Politikvorstellungen aus dem 19. Jahrhundert an. Wir glauben, daß ein Zentralstaat die Souveränität und die Omnipräsenz besitzt, alle gesellschaftlichen Aufgaben erledigen zu können.
Nach dem Rückzug von Lafontaine ist für den Kanzler der Weg frei. Er könnte jetzt machen, was er will. Nur alle rätseln: Was will er?
Die Frage suggeriert, der Kanzler müsse ein klares, geschlossenes Konzept haben. Aber Schröder ist ein erfahrener Politiker. Er weiß, daß es vor allem darauf ankommt, flexibel zu sein – und bestimmte Richtmarken für seine Politik zu haben.
Welche Richtmarken sind das?
Schröder schwebt eine Politik vor, wie sie die Sozialdemokraten in Dänemark oder in den Niederlanden praktizieren. In Stichworten ausgedrückt: Reform des Sozialstaats, gemäßigte Lohnpolitik, mehr Teilzeitarbeit, Rückzug des Staates auf wesentliche gesellschaftliche Bereiche, mehr Eigenverantwortung des einzelnen, Konsenspolitik.
Ist die SPD dazu überhaupt in der Lage?
Die Sozialdemokraten in Europa haben die meisten Projekte, die für eine Reform des Sozialstaats notwendig sind, programmatisch noch nicht diskutiert, mit Ausnahme vielleicht der britischen Labour-Party. Und trotzdem haben beispielsweise die Schweden, Dänen und Niederländer einen gesellschaftlichen Wandel vollzogen. Der Handlungsdruck, der auf Regierungen ausgeübt wird, wirkt viel stärker verändernd und modernisierend als jede programmatische Diskussion einer Partei.
Schröder ist aber nicht nur Kanzler, sondern auch Parteivorsitzender. Er steht vor der schwierigen Aufgabe, die SPD programmatisch zu führen und sie gleichzeitig zusammenzuhalten. Ist er damit überfordert?
Einer parlamentarischen Demokratie tut es immer gut, wenn es eine Aktionseinheit von Regierung, Fraktion und Partei gibt. Es ist auch eine Vorstellung des 19. Jahrhunderts zu glauben, neben der Regierung müsse eine Partei stehen, die die eigentliche Gesinnung über Programme herstellt.
Es gibt historische Situationen, in denen das nicht funktioniert. Die 70er Jahre in Deutschland waren so eine Phase: Es gab in der SPD erhebliche Spannungen zwischen den Generationen, zwischen verschiedenen politischen Flügeln sowie zwischen der Partei und dem Bundeskanzler Helmut Schmidt. Damals war eine Identifikationsfigur wie Willy Brandt wichtig.
Heute braucht man eine solche Figur nicht mehr?
Die Sozialdemokraten sind zwanzig Jahre älter geworden. Der Partei dürstet nicht mehr nach visionären Programmen oder nach reformistischen Befreiungsschlägen. Die meisten sozialdemokratischen Grundüberzeugungen hat die Parteispitze kassiert, ohne daß es zu wütenden Protesten in der SPD gekommen wäre: vom Asylbeschluß über den großen Lauschangriff bis hin zu Kampfeinsätzen der Bundeswehr.
Manche sehen schon eine Spaltung der Partei in eine Lafontaine- SPD und eine Schröder-SPD voraus. Halten Sie das für komplett übetrieben?
So ist es. Die SPD von heute ist altersmäßig, sozial und politisch viel homogener als in den 70er Jahren. Sie ist von Schröder gar nicht so weit entfernt. Die Differenzen zwischen Schmidt und der SPD waren damals viel größer.
Aber zwischen Hombach und Dreßler liegen Welten.
Aber es gibt in der SPD nicht mehr die jugendlichen Energien, die die Partei in eine Zerreißprobe führen könnten. Außerdem ist der linke Flügel der Partei weitgehend marginalisiert. Das eigentliche Problem für Schröder liegt im sozialkonservativen Traditionalismus der SPD. Man kann ihn auch als Dreßlerismus bezeichnen. Der ist in der Partei weit verbreitet, aber nicht identisch mit dem Lafontaine-Flügel. Die Regierungsfähigkeit Schröders wird sich daran erweisen, ob er in der Lage ist, die Traditionalisten herauszufordern und sie für sich zu gewinnen. Interview: Jens König
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