: Das Kleingedruckte beruhigt die Bosse
■ Die Unternehmer feiern den Rücktritt Lafontaines als „zweite Chance“ für die Wirtschafts- und Steuerpolitik. Sie machen nun Druck, daß der personellen Änderung auch eine inhaltliche Kehrtwende folgt. Mit Schröder als SPD-Chef braucht die Wirtschaft um ihre Pfründen nicht zu fürchten
Kaum war die Katze aus dem Haus, tanzten die Mäuse begeistert auf dem Tisch. „Wirtschaftspolitisch ein Glücksfall“, erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zum Rücktritt Oskar Lafontaines als Bundesfinanzminister. Und so gut wie jeder Wirtschaftsboß, der dieser Tage von einem Sender vors Mikrofon gezerrt oder von einer Zeitung per Telefon aufgestöbert wurde, bejubelte die „zweite Chance“ für die Wirtschafts- und Steuerpolitik. Am Wochenende war es denn aber auch genug mit den Beifallsbekundungen. Das Kapital, das sich die Resignation des Umverteilungspolitikers als Erfolg aneignet, will die neue Macht so schnell nicht wieder aus den Händen geben und macht nun Druck, daß auch tatsächlich eine inhaltliche Kehrtwende folgt. Druck, der im Laufe der Woche sicherlich noch sehr viel mehr Dynamik entwickeln wird. Denn die Zeit drängt. Am Freitag steht im Bundesrat die Abstimmung zum Steuerentlastungsgesetz, zur Ökosteuer und zu den 630-Mark-Jobs auf der Tagesordnung.
Und die Wirtschaft würde alle drei Gesetzesvorhaben am liebsten kippen – und dazu am besten gleich die ganze rot-grüne Politik der letzten fünf Monate, einschließlich der Änderungen beim Kündigungsschutz und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Mit viel Abstand am zweitliebsten hätte sie das klare Versprechen, daß bei dieser ersten Stufe der Steuerreform nach der Verabschiedung noch nachgebessert wird und daß vor allem die zweite Stufe, zu der die Neuordnung der Unternehmenssteuer sowie eine Erweiterung der Ökosteuer gehört, in ihrem Sinne ausfällt, also ohne eine neue Belastung durch höhere Benzin- oder Strompreise und unterm Strich mit einer Nettoentlastung für die Unternehmen.
Und die Chancen, daß die Bundesregierung hier Zugeständnisse macht, sind gar nicht so schlecht, auch wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder bereits definitiv erklärt hat, das Steuerpaket werde vor der Bundesratssitzung auf keinen Fall mehr aufgeschnürt – in diesem Punkt bleibt ihm keine Wahl: Zu diesem Termin hat Rot- Grün zum letzten Mal die Mehrheit im Bundesrat, bevor der CDU-Politiker Roland Koch in Hessen das Ministerpräsidentenamt übernimmt und damit die Kräfteverhältnisse kippt.
Aber es gibt in Bonn längst mehr als nur Anzeichen, daß der Kurs künftig sehr viel wirtschaftsliberaler ausgeprägt sein wird als bisher. Immerhin hat Schröder den Atomkonzernen und der Versicherungswirtschaft bereits fest versprochen, eine Klausel an das Steuerentlastungsgesetz anzuhängen, nach der sie auf keinen Fall höher belastet werden, als das Bundesfinanzministerium in seinem Finanztableau zur Steuerreform ausgerechnet hat. Und neben dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und dessen niedersächsischen Kollegen Glogowski hat auch der parteilose Bundeswirtschaftsminister Werner Müller – als Ex-Veba-Manager ohnehin ein Mann der Wirtschaft – eine Abkehr von der nachfrageorientierten Politik Lafontaines zu einer mehr angebotsorientierten angemahnt. Konkret bedeutet das weitere Steuersenkungen für die Wirtschaft, spätestens bei der Unternehmenssteuerreform, die zusammen mit Wirtschaft und Gewerkschaften ausgearbeitet werden und „stärker als bisher geplant“ ausfallen soll. Wie das bezahlt werden soll, hat Hundt bereits der SZ erklärt: Indem man Sozialleistungen streicht.
Dabei hat sich die Koalition schon im Koalitionsvertrag nicht lumpen lassen: Auf höchstens 35 Prozent soll die Gesamtbelastung der Unternehmen vereinheitlicht und reduziert werden, steht in der Vereinbarung. „Gesamt“ heißt inklusive Gewerbesteuer. Und das bedeutet, daß die gewerbliche Einkommens- und die Körperschaftssteuer auf einbehaltene wie auf ausbezahlte Gewinne kaum mehr als 25 Prozent betragen dürfte. Derzeit liegen sie bei 45, 40 und 30 Prozent. So weit war übrigens schon Lafontaine in einem Papier für die Expertenkommission gegangen, die die Details der Unternehmenssteuerreform bis Ende April ausarbeiten soll. Allerdings hatte er nach dem Karlsruher Urteil, das spätestens zu Jahr 2000 auch ein Familienentlastungsgesetz verlangt, „Finanzierungsvorbehalte“ angemeldet.
Schneller als in der Steuerpolitik könnte die Wende bei den 630-Mark-Jobs kommen, wo sich die Kritiker der Neuregelung von Eichel mehr Verständnis erhoffen als von Lafontaine. Federführend ist auch hier wieder Glogowski, der zwar dafür ist, das Gesetz im Bundesrat abzusegnen, dann aber sofort „Ausnahmeregelungen“ einführen will. Es sei ein „Unding“, daß diejenigen, die im Nebenjob Zeitungen austragen oder in der Gastronomie arbeiten, diese Einkünfte voll versteuern müßten. Die Billigjobber seien schließlich keine „Hochverdienende“. Die geplante Besteuerung „treibt die Leute eher in die Schwarzarbeit“.
Beim Bündnis für Arbeit setzt die Wirtschaft dagegen vor allem auf den gestärkten Schröder selbst, der ohne die Lafontainschen Vorbedingungen verhandeln will. Der Spiegel zitiert aus einem Papier der sogenannten Brenchmarking-Gruppe im Bündnis für Arbeit. Danach soll ein Niedriglohnsektor für Arbeitslose mit geringen Qualifikationen eingeführt werden. Künftig soll der Staat Geringverdiener so stark von Steuern und Sozialabgaben freistellen, daß der Nettolohn für unaktraktive Jobs „auf ein auskömmliches Niveau erhöht wird“. So soll ein neuer Arbeitsmarktsektor für Handlangerjobs und Dienstmädchen entstehen. Den Staat soll die Angelegenheit zwischen 15 und 20 Milliarden Mark kosten, die Wirtschaft nichts. Annette Rogalla/Beate Willms
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