: „Asyl gibt's nur bei staatlicher Gewalt“
■ Die Frankfurter Rechtsanwältin Ursula Schlung-Muntau, die zahlreiche Frauen vertritt, über zum Teil haarsträubende Ablehnungsbegründungen
taz: Liegt Ihnen ein aktueller Fall frauenspezifischer Verfolgung vor?
Ursula Schlung-Muntau: Eine junge Frau aus Afghanistan, die mit einem Kommunisten verheiratet ist, sitzt auf dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen in Abschiebehaft. Nach der Flucht ihres Mannes wurde sie von der radikal- islamistischen Taliban tyrannisiert und erpreßt, damit sie seinen Aufenthaltsort bekanntgebe. Später wurde sie geschlagen und gefoltert, weil sie unverschleiert das Haus verlassen hatte, um ihren Sohn zu suchen. Ein typischer Fall übrigens: Der Mann flieht, die Frau wird in den Terror miteinbezogen.
Ihr Asylantrag wurde abgelehnt?
Ja, mit der Begründung, die Taliban übten keine Staatsgewalt aus. Außerdem konstatiert das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, mit der Geschlechtsreife sei in Afghanistan das Tragen der Burqa, des vollständigen Schleiers, vorgeschrieben. Ferner sei es Frauen untersagt, alleine auf die Straße zu gehen. Das stelle aber weder eine erhebliche Beeinträchtigung dar, noch gehe es über das hinaus, was alle Frauen erleiden müßten.
Welche Erfahrungen machen Sie mit vergewaltigten Frauen?
Ähnliche. Ich habe Bosnierinnen vertreten, die vergewaltigt worden waren, als ihre Männer im Krieg oder sie selber in einem Lager waren. Daß die Kriegsgewinnler Frauen vergewaltigt haben, um ihre Gegner zu treffen, gehörte quasi zum Alltag. Diese Vergewaltigungen wurden sämtlich nicht erkannt, weil sie als bürgerkriegsbedingt galten. Doch auch wenn staatliche Organe, zum Beispiel in Haft, Frauen vergewaltigen, heißt es in den Ablehnungsbegründungen, es habe sich um einen „Exzeß staatlicher Organe“ gehandelt, bei dem Amtspersonen ihre Macht ausgenützt hätten. Da das nicht angeordnet sei, gäbe es keinen Asylgrund.
Wie sieht es mit geschultem weiblichen Personal aus? Verhörpraktiken gegenüber Vergewaltigten sind ja auch in Strafrechtsverfahren oft dubios.
Angeblich gibt es geschultes Personal. In der Praxis ist dies aber längst nicht in jeder Zweigstelle zu finden. Auch auf dem Frankfurter Flughafen, der ja eine zentrale Einreisestelle ist, ist mir persönlich niemand bekannt. In der Regel werden Verhöre von Männern durchgeführt. Vor einem Verwaltungsgericht muß eine Frau meist vor drei Männern in Roben ihre Vergewaltigung schildern, die sie oft nicht einmal ihrem Ehemann eingestanden hat. Auch den Fall erlebe ich häufiger: Frauen erzählen bei ihrer Ankunft nichts von der Vergewaltigung, weil bisher nicht einmal der anwesende Ehemann etwas davon weiß. Wenn sie es später bekanntgibt, heißt es, das sei erfunden.
In welchen Fällen konnten Sie einen Asylanspruch für die Frauen durchsetzen?
Vereinzelt bei gebildeten Afghaninnen und Iranerinnen, die schon durch ihre Bildung gegen die Regime verstießen. Auch aus China gibt es ein paar Frauen, die gegen die Ein-Kind-Politik verstoßen haben, denen man zumindest Abschiebeschutz gewährt hat.
Aber diese Anerkennungen frauenspezifischer Fluchtgründe sind auch in Ihrer Praxis Ausnahmefälle?
Ja. Und zwar schwer erkämpfte, in denen die Frauen endlose Prozesse durchstehen mußten. Interview: Jeannette Goddar
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